Der/die/das Osmose ist ein unfassbar fantastisches Instrument. Mein Keyboardspiel definiert sich gerade neu. Das überwältigende Gefühl beim ersten Ausprobieren der Möglichkeiten war ähnlich wie bei der Berührung mit meinem allerersten Synthesizer (KORG MS-20) im Jahr 1979.
Daher schließe ich mich einfach sämtlichen positiven Meinungen im Internet an und spare mir deren Wiederholung an dieser Stelle. Bravo und vielen Dank für dieses Highlight, Expressive E.
Stattdessen gebe ich lieber meinen Senf dazu, an welchen Stellen ich Luft für Verbesserungen sehe. Wenn sich etwas verbessert hat, poste ich gerne Updates.
Wenn ich nur einen Wunsch frei hätte, dann wären das definitiv vernünftige Bedienelemente für die linke Hand. Was da momentan an Potis und Schiebereglern verbaut wird, ist schwergängig, wackelig, fühlt sich billig an und entspricht leider überhaupt nicht dem Anspruch, den man an ein epochales Meisterwerk haben darf.
Aus dem glatten Pitchbend-Regler rutscht der Finger praktisch immer heraus, wenn man ihn in die Mulde legt und gegen die Federspannung bewegt. Eine Fehlkonstruktion. Für das Bending brauche ich nun zwei bis drei Finger und das funktioniert deshalb nur recht träge. Mal sehen, ob man einen griffigeren Ersatz-Faderknopf auftreiben kann, irgendwas mit Rillen. Ersatz für die Billo-Potiknöpfe ist leider nicht leicht zu finden, weil die D-Welle versenkt ist. Kein einziger meiner 6mm-Alternativknöppe passt. Man braucht, habe ich gelernt, einen "Half Shaft Knob", und die gibt es wohl nur in hässlich (dafür teuer).
Übrigens funktioniert das Pitchbend anders als üblich: Losgelassene Noten werden nicht mehr verändert, auch nicht zurückgestellt. Das kann man als interessantes Detail in sein Spiel einbauen, ist aber unüblich. Man sollte es in den Einstellungen ändern können.
Stichwort Pitch Bend: Bei jeder Taste wird durch seitliche Bewegung die Tonhöhe individuell variiert. Das ist ja schließlich eines der Marquee-Features vom Osmose, womit man beim Spielen heftig abräumen kann. Warum zum Kuckuck gibt es dann keine Möglichkeit, die Reichweite des Bendings je nach Bewegungsrichtung (rechts/links, also up/down) unterschiedlich einzustellen? Das wäre so einfach zu implementieren! Stattdessen existiert nur eine einzige "Pitch Bend Range". Bei meinem Kurzweil beispielsweise verwende ich für das Pitch Bend nach unten eine ganze Oktave, nach oben eine kleine Terz. Im Osmose, wo Pitch Bend quasi neu erfunden wird, geht das nicht.
Die Osmose-Presets haben keine Nummern. Sie sind alphabetisch sortiert. Es gibt keine Möglichkeit, per Nummern-Eingabe ein bestimmtes Preset aufzurufen (außer per MIDI, von außen). Und so bewegt man sich immer mit diesem hakeligen Drehregler durch die schier endlose Preset-Liste, oder man muss Buchstaben als Filter auswählen. Ich habe noch nie einen weniger intuitiven Ansatz in einem Synthesizer erlebt (sieheTitel meiner Rezension). Sowas kann man sich in einem VST Plugin erlauben, aber nicht für ein Bühneninstrument. Workaround: Mit der Software-Version 2.x sind Playlisten möglich (mehr als 100 Stück, dazu passend wurde auch der User-Speicherplatz für Presets erheblich aufgebohrt). Damit fasse ich meine Brot- und Butter-Sounds in kleineren Listen zusammen und muss dann nicht ganz so lange am Poti orgeln.
Apropos Firmware: Mit dem Upgrade von Version 1.3 auf 2.1 steigt die Einschaltzeit des Osmose von ursprünglich 6 Sekunden (super) leider auf 25 Sekunden (gähn), während der man die Tasten wegen der Kalibrierung nicht berühren darf.
Noch ein Kritikpunkt, der hoffentlich per Firmware-Update behoben werden kann: Der zweite Schieberegler für die linke Hand (der, wo andere Synths das Modwheel haben) und der Eingang "Pedal 2" auf der Geräterückseite sind im Betriebssystem ein und derselbe Regler. Man bekommt mit einem Expression Pedal also keine zusätzlichen Modulations-Möglichkeiten für die Sound Engine geboten, denn das Pedal bewirkt immer die identische Funktion wie der Fader.
Bedienungsanleitung? Vergesst es. Stattdessen eine "Quick Start" Broschüre, ergänzt durch ein paar FAQs auf der Expressive-Homepage. Schaut lieber Youtube-Videos. Tipp für's erste Anspielen mit Kopfhörer: Direkt neben der Headphones-Buchse, die sich erfreulicherweise vorne befindet, gesellt sich ein unauffälliger, weil versenkter Laufstärkeknopf. Dort bitte draufdrücken, dann springt er heraus und Ihr könnt die Lautstärke (im Auslieferungszustand: 0) anpassen. Das zu raffen hat mich eine halbe Stunde Fehlersuche gekostet, während der mir Begriffe wie "Montagsmodell" und "Garantiefall" durch den Kopf gingen. Es war halt schon dunkel. Zu meiner Entschuldigung: Wenn ich dem Internet glaube, hatten schon andere dasselbe Problem mit der Kopfhörerbuchse. Grüße nach China: Einfach den Regler auf 100% eingestellt ausliefern?
War sonst noch was? Ach ja, für das winzige Steckernetzteil in Homeoffice-Qulität kümmere ich mich besser um Ersatz, bevor es sich unmittelbar vor dem Auftritt in ein Stück Elektroschrott verwandelt. Sorry, auch bei diesem Stück Hardware wurde am falschen Ende gespart.
Summa summarum: Als Wiedergutmachung für meine Kritik vergebe ich trotzdem insgesamt 5 Sterne, denn der Osmose ist als Gesamtkunstwerk, unbestreitbar, jetzt schon einer der absoluten Meilensteine in der Keyboard-Geschichte. Bezahlbar und derzeit völlig konkurrenzlos, so wie damals der DX7 - darum darf man ihm Einiges verzeihen.
Update folgt.