01.09.2020
-schwer nachvollziehbar-
Seitdem ich ein Vorschauvideo eines frühen Prototypens dieser Gitarrenserie auf Youtube sah, habe ich auf ihre Veröffentlichung hingefiebert und wurde letztlich nicht enttäuscht – im Gegenteil.
Bei der mittlerweile auch international immer höheres Ansehen genießenden Thomann-Hausmarke Harley Benton wird mit dieser primär auf Metal ausgerichteten Modellreihe ein bislang ungekanntes Kapitel im Bereich Preis-Leistungsverhältnis aufgeschlagen – WENN man das Glück hat, ein makelloses Exemplar zu erhalten.
Die Amarok-Modelle werden vermutlich (!!!) in denselben indonesischen Hallen gefertigt wie die (oberen) Mittelklassemodelle der üblichen Verdächtigen wie Ibanez, LTD, Schecter, Jackson, PRS SE, Cort, Solar und Chapman Guitars. Letztgenanntes Unternehmen führt z.B. ein Modell im Sortiment, das der Amarok zum Verwechseln ähnlich sieht und einen ungefähren Anhaltspunkt über die üblicherweise erzielte Marge bieten dürfte, die bei der Harley Benton Amarok durch das exklusive Direktvertriebsmodell seitens Thomann deutlich verschlankt wurde.
Im Gegensatz zu den restlichen Harley Benton Gitarren wurden meines Wissens erstmalig EMG-Tonabnehmer verbaut, die für eine transparente Klangwandlung in tiefen Stimmungen sorgen, aber für mein Empfinden im unverzerrten Einsatz noch Luft nach oben haben. Ich persönlich habe mich aber primär für das Baritonmodell entschieden, um in härteren Genres und bei sehr hohen Verzerrungsgraden nicht auf eine siebensaitige Gitarre zurückgreifen zu müssen und bin insgesamt sehr zufrieden mit meiner Wahl – so sehr, dass ich von meinem ursprünglichen Vorhaben abgerückt bin, die Tonabnehmer sofort gegen hier herumliegende BareKnuckle Juggernauts auszutauschen.
Wenn man keinerlei Wert auf die entsprechenden Markennamen auf der Kopfplatte legt, die in Zeiten von globaler Fremdfertigung ohnehin immer mehr an Bedeutung verlieren sollten, erhält man mit der Amarok ein erstaunlich professionell gefertigtes Instrument mit enorm angenehmer Haptik, großartigem Spielgefühl und sehr gutem Klang für High-Gain-Genres. Der fünfteilige, durchgehende Hals ist durch sein mittelschlankes Profil sowie der matten rückseitigen Lackierung in Verbindung mit den Edelstahlbünden einer der besten, den ich je spielen konnte.
Das einzige Manko bei meinem Modell ist die Tatsache, dass ich die Intonation der tiefsten Saite (Drop-A-Stimmung bei 0.68er Stärke) beim besten Willen und trotz Entfernens der Abstandshalterfeder für den Saitenreiter nicht genau einstellen konnte – die Mensur ist zu kurz.
Hinzu kommt das Glücksspiel für ein makellos gefertigtes Exemplar. Die Verarbeitungsqualität unterliegt wie auch bei den vietnamesischen Modellen anderer Harley Benton Baureihen sehr starken Schwankungen. Hier muss definitiv intensiver an der Endkontrolle gearbeitet werden. Die mittlerweile aufgerufenen Preise gehen eben auch mit gestiegenen Kundenansprüchen einher.
Dennoch erhält man mit der Amarok-Produktreihe (mit Glück und bei Verfügbarkeit) ein ausgezeichnetes Instrument mit nur wenig Raum für Verbesserungen zu einem schwer nachzuvollziehenden Preis.
Pro:
• Qualität indonesischer Auftragsfertigung ohne Markenaufschlag durch flächendeckendes Direktvertriebsmodell
• Verarbeitungsqualität im Idealfall beeindruckend (siehe auch Contra:)
• Fünfteilige Neck-Through-Body-Konstruktion – Sustain und Stimmstabilität hervorragend
• Nahezu komplett hochwertige Komponenten und Materialien
• Edelstahlbünde (Langlebigkeit und Spielgefühl)
• Frontseitig komfortabel erreichbarer Halsspannstab
• Luminlay-Dots
• Grover Locking-Tuner und Hipshot-verdächtige Bridge
• EMG Retro Active Hot 70s Tonabnehmer
• Zeitlose Ästhetik
Contra:
• Sehr starke Bundendenverrundung, die dazu führt, dass die höchste Saite bei leichten Bendings ca. ab dem 12. Bund vom Griffbrett rutscht
• Qualität leider inkonsistent (mein zuerst bestelltes Modell wies starke optische Makel bei der Furnierverleimung auf; außerdem fiel die Elektronik bereits am ersten Tag aus, sodass kein Signal mehr an der Buchse anlag)
• Intonation durch unsauber gesetzte Brücke nicht perfekt einstellbar – unbedingt nach dem Kauf prüfen!
• Auslieferungszustand stark verbesserungswürdig (Halsstabspannung zu gering, Intonation teilweise 15 cent im 12. Bund daneben, ca. sechsfach mit den tiefen Saiten umwickelte Stimmmechaniken trotz vorhandener Locking-Tuner)
• Pickup-Switch hat seitliches Spiel
• Gurtpin-Bohrloch auf der Rückseite des oberen Horns sorgt für leichte Kopflastigkeit (zumindest bei Bariton-Mensur)
• Reversed Headstock sorgt für konstruktionsbedingtes Nachschwingen der tiefsten Saite hinter dem Sattel - Einsatz FretWrap oder ähnliche Dämpfung für perkussives Spiel erforderlich
• Headstock-Design (in meinen Augen) ein deutlicher Rückschritt im Vergleich zum Prototypen
Nachtrag 19.02.22
Ich muss meine ursprüngliche Bewertung nun nachträglich nach unten korrigieren. Ursache ist die sehr flache Verrundung der Bundenden, die auf der höchsten Saite dazu führen, dass nur geringfügige Unachtsamkeiten beim Spielen ab dem 12. Bund dazu führen, dass die Saite vom Griffbrett rutscht. Ich habe das Phänomen leider viel zu spät erkannt und in Worte fassen können.
Laut Kundenservice befindet sich diese starke Bundendenverrundung, die ich bei keiner meiner anderen E-Gitarren derart intensiv vorfand, aber im Rahmen der Herstellertoleranzen und sind damit toleriert. Sie entsprechen in meinem Fall übrigens bei weitem nicht der Darstellung auf dem offiziellen Produktfoto sondern sind deutlich flacher und weiter in die Mitte des Griffbrettes einragend.
Somit wird meine Baritongitarre künftig wirklich nur noch gut für “Riffarbeit“ eingesetzt werden können.
sehr bedauerlich