Als ich neulich so in die Runde blickte und meine Gitarren zurückblickten fiel mir auf :
Irgendwie fehlt da was...okay, es fehlt noch vieles, aber eines ganz besonders: ne 12-saitige.
Drei habe ich schon besessen, und ich trauere ihnen immer noch hinterher, besonders der allerersten. Das war ne EKO Ranger 12, dank nulltem Bund und höhenverstellbarem Steg traumhaft in der Bespielbarkeit. Der Hals war geschraubt und konnte dadurch noch zusätzlich im Winkel optimal angepasst werden. Leider war sie aufgrund der Sperrholzkonstruktion gefühlte zwei Zentner schwer, nicht gerade sonderlich laut und auch die Lackierung war , ungelogen, eigentlich mehr ein mindestens millimeterdicker Kunstharzüberzug. Trotzdem, zusammen mit dem gerade damals brandneuem Shadow-DoublePlay-Pickup-System ( magnetischer und Piezo-Pickup, beides in passiv...aber SCHWEINEGEIL miteinander mischbar) hab ich die geliebt. Irgendwie haben die bei EKO damals alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte, aber die Schrammeln waren trotzdem endgeil. Immerhin hat sie mich damals auch alle Einkünfte meines allerersten Ferienjobs gekostet. Verkauft hab ich sie dann weit unter Wert, weil ich plötzlich Taufpate war und immer noch auf der Schule...und Geld für´s Patengeschenk brauchte. Die Zweite war ne Yamaha, wesentlich leichter und aus massiven Hölzern, aber ich wurde nie richtig ein Team mit ihr...die Saitenlage war super, aber das Halsprofil passte meiner linken Hand irgendwie gar nicht...zu klobig , zu breit, zu kantig.
Ich dachte, irgendwann gewöhne ich mich dran, aber dem war nicht so. Die dritte war dann ne Ibanez, bei der passte alles...bis auf den fehlenden Pickup...aber sie hat meinen Hausbrand nicht überlebt, wie ungefähr ein Dutzend andere Gitarren. Seit einiger Zeit baue ich meine Sammlung neu auf und inzwischen fühle ich mich schon fast wieder wohl, aber ne neue 12-saitige musste her...Sie musste sowohl unplugged als auch verstärkt brauchbar klingen und gut spielbar sein ohne Tricks wie herunterstimmen und Kapo drauf...Kapodaster benutze ich zum Einstellen von Gitarren, weil mir sonst ne Hand fehlt... beim Spielen derselben haben sie nichts zu suchen.
Außerdem mag ich protzige Dinger nicht....ich mag es optisch dezent , aber elegant. Und es sollte mindestens ne Dreadnought sein, weil gerade trocken gespielt ein vernünftiges Klangvolumen nun mal nen relativ großen Resonanzkörper braucht.
Die legendären Gibson-Jumbos gefielen mir sehr, waren aber unerschwinglich für mich....und optisch zu verspielt und zu verschnörkelt. Okay, dann eben Epiphone ? Bezahlbar, aber auch wieder zu verschnörkelt...außerdem hab ich im Netz viel zu viele Epiphones mit gebrochenen Hälsen gesehen, die scheinen diesbezüglich gerade in einer ziemlich heftigen Qualitätskrise zu stecken.
So fiel mein Augenmerk auf die Harley Benton...Jumbo-Korpus, dezenter Steg (nicht dieses total verschnörkelte, überladene, Gibson/Epiphone-Design), massive Hölzer, Knochenmaterial für Steg und Sattel, und als Pickup-System nicht das sehr gern verbaute chinesische Möchtegern-Dingsda-Bummsda, sondern ein echtes, wenn auch spartanisches, Fishman-System....man kennt das aussem Baumarkt...sogar die billigste Bosch - Stichsäge ist noch um Klassen besser, als die teuersten Sägen der Billig-Heimer-Mitbewerber....
Haben will !
Aber, oh Gott: Das Ding ist ausverkauft (gewesen), über drei Wochen Lieferzeit....was nun ? Gucken, was man sofort bekommen kann, noch Geld drauf legen...oder Kompromisse eingehen ? Oder einfach trotzdem bestellen und hoffen, das sich das warten lohnt, bis sie wieder lieferbar ist ?
Ich hab sie einfach mal trotzdem bestellt...und eben drei Wochen recht ungeduldig gewartet.
Vorgestern war sie dann da, und gestern auch der zeitgleich mitbestellte, passende Koffer (Bewertung an anderer Stelle)...und : das Warten hat sich gelohnt !
Es erschließt sich mir nicht wirklich, wie man so etwas Grenzwertgeiles für 199 Euronen anbieten kann. Die Verarbeitung der Hölzer ist einwandfrei, die verarbeiteten Hölzer selbst
ebenfalls. Das ist kein auf Mahagoni gebeiztes irgendwas, das IST definitiv Mahagoni vom Feinsten, aus was Zarge und Boden bestehen. Gleiches gilt für die Decke...das IST Fichte, kein Irgendwas mit aufgeklebter und überlackierter Fototapete. Die Decke ist in der Mitte spiegelbildlich geteilt, aber nicht exakt spiegelbildlich...was an Versatz da ist, entspricht genau einer Sägeblattbreite. Das ist definitiv nicht gefaket, DAS Ding ist echt. Die Verarbeitung ist einwandfrei, ebenso die Lackierung. Die Mechaniken sind extrem leichtgängig und stimmgenau...könnten etwas besser sein, sind aber gut zu dosieren. Um es mal so zu sagen: für serienmäßig verbaute Mechaniken im Preissegment unter 1000 Euro gibt es da nix zu meckern. Sie halten ihre Stimmung im laufenden Spielbetrieb einwandfrei. Ich bin es gewohnt, Gitarren am Vorabend des Auftritts hinzustellen und zu stimmen und am Abend des Auftritts die Gitarren immer noch gestimmt vorzufinden...das traue ich den Dingern einfach mal zu, obwohl es doppelt so viele sind, wie sonst an einem Hals.
Bei goldfarbenen Mechaniken bin ich immer etwas skeptisch, wie lange sie goldfarben bleiben, aber was wird sich im Langzeittest erweisen müssen.
Die ab Werk aufgezogenen Saiten sind D´Addario EXP in 010er, also nicht irgendwelcher Billigschrott und klingen schon mal recht brauchbar. Allerdings sagen sie mir von der Zusammensetzung des Saitensatzes in der Stärke, bzw. in der Betonung der Klangcharakteristika nicht wirklich zu. Es gibt da von Dean Markley einen Satz für 12Saiter in 009, der wesentlich harmonischer klingt und auch um einiges leichter zu greifen ist.
Zu bemängeln an den werksseitig aufgezogenen Saiten ist vor allem, dass sie für meinen Geschmack zu grell klingen und dass die g-Oktav eine 008er ist, die sich, wie schon vorher befürchtet, eine Stunde nach Erhalt der Gitarre und Stimmen auf Standard-Tuning einfach mal so ohne mein Zutun durch Riss in der Mensurmitte dem weiteren Spielen entzogen hat.
Na ja..ist halt ne 12-saitige...und ne g Oktav ist nun mal ne um zwei Töne zu hoch gestimmte dünne e...die machen gern mal einfach so ?knack? ...und das war´s dann.
Bei dem Dean Markley Satz, auch hier bei Thomann erhältlich, sind die e und h dünner, aber die g Oktav ist auch ne 009er, was ihre Lebenserwartung doch sehr erhöht...
Das Schlagbrett der Harley Benton verzichtet auf irgendwelche eingravierten Vogel-und-Blumen oder Vogel-mit-Blumen oder Vogel-an-Blumen ? Motive, es ist halt einfach schildplattähnlich und dreilagig...schlicht, dezent und elegant...keine Ahnung, wie viele Plastikschildkröten dafür aus dem Panzer geschubst werden mussten, aber es gefällt.
Weniger Gefallen erregen die Kleberreste, die an den Rändern darunter hervorquellen, aber das ist rein kosmetisch...und mit Daumennagel und Daumenkuppe recht leicht zu entfernen.
Der Hals ist einwandfrei verarbeitet und weist keine Mängel, Risse oder Lackfehler auf.
Er könnte gerader sein, das ist doch ein wenig mehr, als die allseits gelobte und erwünschte ?leicht konkave? Krümmung, weshalb die Halskrümmung und die Saitenlage in den höheren Bünden im Auslieferungszustand noch nicht wirklich optimal ist. Ich werde daran jetzt erst mal noch nichts ändern, da ich ja sowieso noch einen anderen, geringfügig ?weicheren? Saitensatz aufziehen werde. So pi-mal-Daumen-gepeilt würde es damit dann optimal sein.
Und falls doch nicht, so hat gerade diese Gitarre einen Vorteil, den ich bei 12-Saitigen seit der eingangs erwähnten, legendären EKO Ranger 12 vermisse : Der Trussrod ist OBEN am Hals zugänglich. Damit entfällt das verdammt lästige Gewurschtel mit Inbus-Schlüssel, Verlängerung und Zange durch das Schallloch...bei dem ständig irgendwelche Saiten runtergestimmt, zur Seite gezerrt und wieder hochgestimmt werden müssen...
Wer allerdings hofft, auf eine 624er Gibson-Mensur zu treffen, wie es in der Artikel-Beschreibung steht und damit auf noch mal erleichterte Spielbarkeit, wird leider enttäuscht... zumindest meine hat ne normale 650 mm Mensur...Schade eigentlich, aber ich bekomme die schon noch mindestens genau so leicht spielbar hin, wie eine 6-Saitige...
Vom Kraftaufwand her gibt es kaum Unterschiede zwischen einer 12-Saitigen mit 010er oder 009er-Saiten und einer 6-Satigen mit 012er oder 013er-Saiten. Genau betrachtet verteilen sich bei der 12-Saitigen die Kräfte sogar noch auf doppelt so viel Auflagepunkte....
Man mag es vielleicht nicht glauben, aber echte Flamenco-Gitarren mit richtig harten Nylon-Saiten gehen mehr auf die Finger...
Aber zurück zum Thema: das Halsprofil der Harley Benton ist angenehm flach ausgelegt und sehr Konzertgitarren-ähnlich. Auf dem Hals fühlt man sich sofort zu Hause. Als Wanderer zwischen den Halswelten von Konzertklampfe, Mandoline , über Viersaiterbass, E-Klampfe, 6-saitiger-Western, diversen E-Gitarren mit allen erdenklichen Halsbreiten und Halsprofilen macht mir der Switch von Firebird über Strat, Paula, Konzertklampfen und Bass auf diese 12-strippige nicht das geringste Problem...30 Sekunden Einspielzeit, und ich finde auch im Dunkeln sofort jeden Bund. Insgesamt ist der Hals etwas schmaler gehalten, als man es von anderen 12-Saitern kennt. Praktisch hat das für Leute mit kürzeren Finger wahrscheinlich Vorteile. Allerdings liegen so die Saitenpaare auch recht nah beieinander, was exakteres Spielen erfordert als auf breiteren Hälsen, ist aber vor allem Gewöhnungssache. Nur die Fingernägel an der linken Hand sollte man noch kürzer halten als sonst, anderenfalls erwischt man schon einmal ungewollt die benachbarten Saiten.
Bis zum 15ten Bund ist sie ziemlich gut spielbar in der werksmäßigen Abstimmung, wer höher hinaus will, muß wohl eher etwas mit schmalerem Korpus und/oder unterem Cutaway suchen. Für das, wofür ich sie brauche, ist sie okay. Ich spiele darauf hauptsächlich Sachen von Dylan oder Neil Young. Allerdings kommen auch akustische Versionen von Deep Purple´s ?Child in time? oder ZZTop´s ?I thank you? richtig gut auf dem Ding. Auch wenn ich außer mir sonst niemanden kenne, der auf die Idee kommt, so was auf ner 12saitigen zu spielen ...... * lach*
Kommen wir nun zum Sound : Jumbostyle-mäßig ist der schlicht und einfach Jumbo.
Halt eben noch nen Tick fetter als auf einer Dreadnought. Der Korpus ist hervorragend verarbeitet und das Schwingungsverhalten ist exzellent. Das Sustain ist hervorragend. Mal sehen, ob man da nicht über SaitenhalterPins aus Messing noch ein bisschen mehr an Sustain und Präsenz herauskitzeln kann, ist nen Versuch wert...aber mit dem Status Quo kann man schon mal ganz gut leben. Der Grundsound ist jedenfalls absolut in Ordnung und läßt alle Möglichkeiten offen, über verschiedene Saitenstärkenkonfigurationen seinen persönlichen Lieblingssound zu kreieren.
Das eingebaute Pickupsystem ist absolut ausreichend. Es liefert einen, im Vergleich mit anderen Systemen, sehr hohen Ausgangspegel und ausreichend Regelmöglichkeiten für den Einsatz on Stage....die endgültige Soundmischung findet eh erst weiter hinten in der Verstärkungskette statt. Ich halte es da, wie mit E-Gitarre...den Level am Instrument etwa in Mittelstellung, darauf wird der Rest der Kette abgestimmt. Und ich hab dann immer noch die Möglichkeit , an der Klampfe selbst nach oben oder unten abzuweichen, falls es mir nicht passt oder extrem anders klingt als noch beim Soundcheck vorher.
Der eingebaute Tuner ist ein nettes Gimmick nebenbei, allerdings schwöre ich auf meinen uralten Korg-Tuner, in dem noch eine gute alte Anzeigenadel ihren verlässlichen Dienst tut, anstatt blinkender Dioden oder zitternder LCD-Möchtegern-Zeiger. Aber gerade wenn es in der Umgebung ein wenig lauter ist, und man dadurch nicht wirklich nach Gehör stimmen kann, ist der eingebaute Tuner recht nützlich, auch wenn man rein unplugged spielt auf irgendwelchen Grillfeten oder ähnlichem Zeugs. Nebenbei : der Preamp schaltet im Tuner-Modus den Ausgang stumm, so dass verkabelt keine nervenden Stimmgeräusche zu hören sind, wenn man gestöpselt spielt und damit stimmt. Genau scheint der Onboard-Tuner auch zu funktionieren. Sowohl meine Ohren, als auch mein geliebtes altes Korg-Stimmgerät stimmen mit seiner Meinung von richtiger Stimmung überein. Allerdings sollte man nicht vergessen, nach dem Stimmen den Tuner-Modus abzuschalten, wenn man rein akustisch spielt. Normalerweise schaltet der Preamp batterieschonend ab, sobald der Stecker ausgestöpselt ist.
Im Tunermodus ist die Abschaltung aber deaktiviert. Zwar gibt der Preamp kein Signal ab, aber der Tuner saugt weiter an der Batterie. Nun gut, allzu häufig wird man den Tuner mitten im Schrammeln nicht bemühen müssen...wie schon gesagt: die verbauten Mechaniken halten die Gitarre ziemlich zuverlässig in Stimmung.
Ebenfalls auf der Kontrollplatte findet sich noch ein Knöpfchen mit der Aufschrift ?Phase?. Warum jenes Knöpfchen so heißt, weiß wahrscheinlich nicht einmal der Geier, unter nem Phase-Switch verstehe ich etwas anderes und baue die Dinger zu gern nachträglich in E-Gitarren ein. Egal, wie er jetzt heißt und warum : er tut was er soll, nämlich die Neigung zu Rückkopplungen extrem reduzieren. Wenn´s auf der Bühne plötzlich unerwartet pfeift und brummt, könnte der die schnelle Rettung bedeuten, ohne erst alles neu einpegeln zu müssen.
Ihr Bühnendebüt hat die Harley Benton noch nicht gegeben, aber hier im Kämmerlein zu Hause klingt es so, als sei sie uneingeschränkt stage-tauglich. Ich werde es demnächst mal ausprobieren.
Ich fasse das noch mal zusammen: Für gerade mal 199 müde Euronen bekommt man hier eine schnörkellos hübsche, dezent gehaltene12-saitige Jumbo aus massiven Hölzern, die so gut und hochwertig klingen, wie sie aussehen. Das Ganze in makelloser Verarbeitung. Über die Kleberreste am Schlagbrett will ich mal nicht herziehen, kurz mit dem Daumennagel dran langgeschrammt, nachgewischt und gut ist. Heute, zwei Tage nach der Lieferung und seitdem im Dauertest, habe ich den Sound immer noch ständig im Ohr und bin damit in den örtlichen Musikinstrumente-Laden gepilgert, nur mal so zum vergleichen. Was vergleichbar war, lag so etwa bei 800 bis 1000 Euronen, die absoluten Premium-Marken mal gar nicht erst mitgezählt.
Die liegen noch wesentlich drüber.
Wer auf große Markennamen, übertriebene Perlmutt-Einlagen und Schnörkel am Steg und Bindings um die Kopfplatte herum verzichten kann und nur gute Verarbeitung, brauchbare Spielbarkeit und einen ausgewogenen, guten , voluminösen Sound haben möchte für ganz schmales Geld, ist hier richtig aufgehoben.
Mein Fazit : Klare Kaufempfehlung !