Manchmal sitze ich ganz gerne auf der Terrasse und spiele ein bisschen Gitarre. Das kann man mit seiner hochwertigen Lieblingsgitarre machen, keine Frage – aber dann knallt die Sonne richtig drauf, sie liegt entweder unsicher auf irgendeinem Terrassenmöbel oder auf dem Boden oder ich muss erst noch einen Gitarrenständer mitnehmen und stelle mir wieder alles voll. Nein, es muss eine kleine, robuste Couch-Gitarre her. Außerdem mag ich diese Art von Gitarren.
Diese Harley Benton ist natürlich nichts anderes als eine ziemlich dreiste Kopie einer Taylor GS mini. Viel Aufwand für Forschung und Entwicklung ist da sicherlich nicht angefallen.
Beim Auspacken musste ich das erste Mal grinsen. Schon beim Einpacken wurde gespart – Tasche in den Karton, Gitarre drauf. Der Arbeitsschritt „Einpacken der Gitarre in die Tasche“ entfällt damit. Im Karton ist noch ein Inbusschlüssel und ein Klinkenkabel billigster Machart, das ich sicherlich niemals verwenden werde. Das versprochene Gigbag ist übrigens schlicht eine Tasche. Brauchbar für den Transport, aber praktisch nicht gepolstert. Mehr kann man für den Preis nicht erwarten.
Die HB ist ansonsten wirklich gut verarbeitet. Es gibt zwei kleine Mängel: Beim Aufkleben des Pickguards hat jemand ein bisschen mit dem Kleber gekleckert. Die Oberflächen der Bundstäbchen sind nicht poliert. Der Rest ist tadellos.
Das ist eine kleine Gitarre – quasi eine 7/8. Bei meiner Körpergröße von 1,75 m ist eine Gitarre in Standardgröße immer schon ein Möbel und so richtig bequem sitzt man damit nicht. Bei dieser HB ist das völlig anders. Die Gitarre ruht auf dem Oberschenkel, nichts drückt in die Rippen – dreht man sich, stößt die Kopfplatte nirgends an, weil der Hals so kurz ist. Ich finde das sehr angenehm.
Die Bespielbarkeit ist wirklich gut. Ich bin da nicht sehr pingelig und mag höhere Saitenlagen. Sicherlich könnte man am Sattel noch etwas nachfeilen und auch die Stegeinlage hätte noch Potenzial für Verbesserung – notwendig ist das nicht, meine linke Hand fühlt sich wohl. Das liegt natürlich an der kürzeren Mensur und den aufgezogenen 11er Saiten. (Warum HB 11er Saiten auf die kurze Mensur aufzieht, kann ich nicht nachvollziehen. Beim Vorbild Taylor GS mini erfolgt genau das Gegenteil, dort wird mit 13er Saiten ausgeliefert. Sei es drum, das passt.)
Die Auswirkungen der kurzen Mensur sind erstaunlich. Akkorde mit Überstreckungen sind plötzlich mühelos spielbar und der Weg in die höheren Lagen so kurz, dass mir auf einmal sehr viele Spielereien möglich sind, die ich bei einer langen Mensur nicht kann. Ich kann beispielsweise bei bei Bassfiguren auf den ersten drei Bünden der tiefen E-Saite zwischendurch mal Flageoletts der h-Saite und der hohen e-Saite über dem 12. Bund reinstreuen. Da darf man dann nur nicht die Frage aus den Augen verlieren, ob das musikalisch sinnvoll ist.
Kurzum, die Bespielbarkeit ist sehr gut. Man sitzt total entspannt, die linke Hand muss nicht weit ausgestreckt werden; kurzum ist alles komfortabler und einfacher als bei einer normalgroßen Gitarre. Dass die Bundstäbchen ab dem 14. Bund aufwärts sehr eng zusammen sind, liegt in der Natur der kurzen Mensur, da kann die HB nichts für.
Klanglich überrascht die HB, indem sie einfach wie eine normalgroße Akustikgitarre mit Mahagonidecke klingt. Also kleine ganz hohen Höhen, statt dessen etwas mittiger. Ich hatte dünne Bässe erwartet – sie sind aber nicht dünn. Tatsächlich habe ich ein paar mal auf Dropped D runtergestimmt und die HB knurrt da mit viel Schub untenrum.
Die Saitentrennung ist gut, es mulmt nichts, dröhnt nichts, rappelt nichts und klirrt nichts. Alles gut. Sustain ist genug da, die Gitarre lässt sich dynamisch spielen. Im Vergleich zu meinen anderen Akustikgitarren nehme ich hier lieber ein etwas dünneres Pick. Bei ganz leichtem Anschlag kommt nicht viel aus der Gitarre, danach lässt es sich gut arbeiten. Bei zu hartem Anschlag gibt sie etwas nach.
Tendenziell ist die HB eher präsent und offensiv. Wenn man mit dem Anschlag arbeitet, bekommt man fast alle typischen Akustikgitarrensounds raus. Es ist komisch, aus so einem kleinen Instrument Part und Sound von Adele Rolling in the Deep zu spielen aber es geht. Nur Hifi-Sound mit glitzernden Höhen gibt die Mahagonidecke nicht her.
Diese Harley Benton macht Spaß, richtig viel Spaß. Wer hat eigentlich die angeblich amtliche Länge von Mensuren festgelegt?
Dann ist da noch das eingebaute aktive Piezosystem. Das klingt wie so ein aktives Piezosystem heutzutage zu klingen hat. Ich habe mir den Spaß gemacht, mit einem Zoom MS50G als Außenborder den Sound zu verbessern und das funktioniert wunderbar. Für die zwei Akustikballaden in der Rockband ist das mehr als okay und als Backup für den überzeugten Akustiker auch.
Normalerweise mag ich auf der verstärkten Akustikgitarre nicht mehr Effekte als etwas Compressor und Hall. Bei der HB habe ich mich häufiger dabei ertappt, mit Delays, richtig ausgefransten Hallräumen und sogar Modulation zu spielen. Die HB fühlt sich halt nicht wie eine normale Akustikgitarre an, da kommt man wirklich auf neue Ideen.
Seitdem die HB im Haus ist, habe ich sie laufend in der Hand – wann immer ich auch nur zwei Minuten zur Verfügung habe. Interessanterweise inspiriert mich das dazu, bei etwas mehr Zeit auch meine anderen Gitarren häufiger zu spielen. Die HB nimmt also keine Spielzeit weg, sie fügt welche dazu. Und sie macht sowas von Spaß!
Fazit? Das ist ein richtiges Musikinstrument mit enormem Spaßfaktor und ganz viel Inspiration. Definitiv als Backupgitarre geeignet, ganz sicher als Zweitgitarre.