Das Kurzurteil vorweg: Wieder einmal bietet Harley Benton eine klassische Gitarrenform zu einem nahezu unschlagbaren Preis-/Leistungsverhältnis an - Bravo!
Auf diese Gitarre habe ich schon ein wenig gewartet, um mich auch einmal mit bluesigen und jazzigen Klängen zu beschäftigen. Als sie bei Thomann erhältlich war, zögerte ich nicht lange, sie zu bestellen. Ich wurde nicht enttäuscht, denn aus der Transportverpackung strahlte mich diese wunderschön gemachte Semiakustik an. Die klassische Sunburst-Lackierung ist bei meinem Exemplar ohne sichtbaren Makel, und in einem warmen Gelb-Orange und Rotbraun gehalten. Die gelb-orangen Partien sind etwas transparent, so dass die Maserung der Ahorndecken durchschimmert. Den Korpus und den Hals ziert ein Binding, das ein wenig gealtert, also vintage wirkt, aber in einem etwas merkwürdigen Kontrast zur allgemeinen Hochglanzversiegelung steht.
Ein vierlagiges (! in schwarz-weiß-schwarz-weiß) Schlagbrett schützt den Korpus vor eifrig geschlagenen Plektren.
Der Hals ist von guter Qualität, die Bünde sind gut abgerichtet, Kanten stehen nicht hervor. Ein wenig Politur läßt sie aufleuchten. Die Krümmung kann mit dem Halsstab eingestellt werden, was bei mir aber nicht notwendig war. Auch die Bundreinheit ist gut.
Das Palisander-Griffbrett wirkt leider etwas stumpf, es lohnt sich, mit etwas Griffbrettöl den Eindruck aufzufrischen. Mit etwas Glück kommt eine schöne Maserung hervor.
Die Saitenlage ist für den Anfang in Ordnung gewesen, vielleicht für meinen Geschmack eine Nuance zu hoch, was ich aber beim Saitenwechsel behoben habe. Ich habe der Gitarre flach gewundene 10er Jazzsaiten von Thomastik spendiert, was dem Klang und der Bespielbarkeit des Instruments deutlich zugute kommt. Allerdings muss bei diesen Saiten die Oktavreinheit neu justiert werden, was dank der Tune-o-matic Brücke aber gut zu bewerkstelligen ist.
Die verchromten Die-cast Tuner sehen sehr schön aus, stimmen aber besser hoch als runter, und bei den tiefen Saiten muss man schon recht feinfühlig vorgehen. Dennoch ist die Stimmung einwandfrei herzustellen.
Die Tonabnehmer sind mit ihren vernickelten Kappen den klassischen PAF-Humbuckern nachempfunden. Auch wenn sie so aussehen, klingen tun sie anders, und zwar überraschend gut. Ihnen fehlt es zwar etwas an Prägnanz und Differenzierung, der Gesamteindruck ist aber recht angenehm: warm und rund beim Halspickup, während der Stegpickup deutlich mehr Höhen mit Biss hat. Die Jazzsaiten unterstützen den Eindruck, machen den Klang zudem klarer und intensiver.
Möglicherweise profitieren die eingebauten Humbucker von der Einbettung in einen massiven Mahagoniblock, was die Gitarre aber auch überraschend schwer macht. Fast vier Kilo Gewicht wollen gestemmt sein.
Die Potis sind offensichtlich logarhythmisch, d.h. der Verlauf der Lautstärke- oder der Klangregler ist recht gleichmäßig. Kratzen oder Aussetzer gibt es bei meiner Gitte nicht. Lediglich die hütchenförmigen Einstellknöpfe sitzen etwas hoch, und es wirkt ein wenig so, als ob man Push/Pull-Potis eingebaut hätte - was toll wäre, wenn damit ein Coil-Splitting möglich wäre. Ist es leider nicht, aber man kann nicht alles haben angesichts des Preises.
Ein Schönheitsfehler ist es, wenn man in den F-Löchern des Korpus das eine oder andere Kabel erblicken muss. Wen es sehr stört, kann leicht mit etwas Klebeband für Ordnung sorgen. Klappern tut jedenfalls nix.
Der Sound der Gitarre -bezogen auf und mit den Jazzsaiten- ist in etwa so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Unverstärkt klingt sie etwas lauter als eine Solid Body, aber natürlich deutlich leiser als eine Akustikgitarre. Der Sound dabei ist schon warm und geht deutlich in Richtung E-Gitarre.
Am Clean-Kanal eines Transistor-, aber auch Röhrenverstärkers kommt der typische Charakter einer Semiakustik zum Vorschein, also voll und weich tönend, insbesondere mit dem Halspickup, während es mit dem Stegpickup schon mehr zur Sache geht, aber immer noch klar bleibt. In der Mittelstellung dominiert der Halspickup. Der Output ist eher Medium - würde ich jetzt mal sagen. Der Wahlschalter wackelt seitwärts leider etwas, schaltet aber dennoch klar definiert mit deutlichem Geräusch.
Mit Verzerrung steht die Gitarre den Solid Bodies in nichts nach, den Crunch, Distort oder Overdrive sucht Ihr Euch bitte selbst aus. Die Post geht dann schon ab. Bei mir hat sie jedenfalls auch verzerrt eine gute Performance abgeliefert.
Der fortgeschrittene Gelegenheitsspieler erhält mit der HB-35 ein gutes Instrument, das den Erwartungen an eine Semiakustik entspricht - und das für wirklich wenig Geld!
Anfänger können natürlich auch mit ihr glücklich werden, sollten aber einen erfahrenen Tutor zur Seite haben, wenn sie die Gitarre justieren müssen, was z.B. beim Aufziehen von flach gewundenen Saiten notwendig wird, die aber den Klang erheblich verbessern.
Wieder einmal gilt auch Thomann ein großes Lob für diese tolle Angebot und die kundenfreundlichen Lieferbedingungen. Herzlichen Dank dafür.
Derzeit warte ich noch auf einen Firebirdklon von HB...