Da ja im Netz immer wieder die große Preisgüte von Harley Benton gelobt wird, hab ich für meine Gitarrenschüler und wenig später für mich selbst einen Harley Benton PJ-74 VW Vintage gekauft.
Lobenswert finde ich die Lackierarbeit. Die ist gut und nicht von einem Bass aus der u1000€ Region zu unterscheiden. Ob sich Harley Benton das dadurch erkauft, dass eine dicke Polyurethanschicht drauf ist? Kann sein.
Die Stimmstabilität ist für mein Empfinden nicht hervorragend aber auch fern von schlecht. Wenn ich eine Stunde spiele, muss ich schon mal 10ct nachstimmen. Wobei ich aber auch nicht weiß, ob die Stimmstabilität bei Bässen grundsätzlich etwas schlechter als bei (E-)Gitarren ist. Außerdem springt die Nadel gerne sprunghaft hin und her. Bei meinem Yamaha TRBX 504 ist das weniger ausgeprägt.
Der Hals ist von der Sorte halbierter Baseballschläger. Die Dicken sind:
1.Bund: 21,75 mm
1. Bund mit Bundstäbchen: 23,0 mm
12.Bund: 24,6 mm
12. Bund mit Bundstäbchen: 25,9 mm
Das Halsfinish ist nicht von satinartigem Feeling, sondern eher durchsichtig deckend lackiert. Ich finde es fühlt sich ein bisschen speckig an, aber das würde ich (noch) nicht als Qualitätsmanko, sondern Eigenart des Lacks ansehen. Ich persönlich finde den Bass innerhalb seiner Specs gut spielbar. Die Halsdicke ist Geschmackssache.
Überstehende Bünde gibt es nicht. Die Verrundungsarbeit kommt sogar an meinen Yamaha ran, der das dreifache kostet. Raue Bünde wie bei manch anderen Harley Benton Gitarren sind hier kein Thema. Das Amaranth-Griffbrett ist natürlich in Sachen Feeling eine Stufe unterhalb von Palisander und 2 unter Ebenholz. Es hat einige sehr grobe Poren. Aber ok, es ist ein 200€ Bass. Und so häufig kommt man ja auch nicht damit in Kontakt. Ergo nichts, was ich grob kritisieren kann.
Was dagegen sehr kritisierenswert ist, ist der Sattel. Der ist bereits nach 4 Monaten regelrecht ausgefranst. Der Sattel ist einfach zu weich. Für mich ist das sehr enttäuschend und selbst 179€ nicht angemessen.
Ansonsten kann ich mich qualitativ (noch) nicht über die Mechanik und Haptik beschweren. Noch ist nichts abgegrabbelt, verschlissen, verfärbt, korrodiert, etc. Bundreinheit ist wie sie soll.
Bemerkenswert sind die Gewichtsunterschiede.
Während der eine PJ-74 3866 g auf die Küchenwage bringt, erreicht der andere 4490 g. Tatsächlich ist der Schwere ein klein wenig weniger kopflastig.
Falls jemand nach der 6. Bund Problematik fragt: Ja, die ist ganz leicht vorhanden. Aber wirklich nur ganz leicht. Die leere G Saite kippt beim Werkssaitensatz leider sehr schnell in einen Oberton. Stratitis sollte ausscheiden. Das passiert nämlich auch bei möglichst weit runtergeschraubten Pickups.
Wobei „möglichst weit“ hier gar nicht mal so viel ist, denn die Pickups lassen sich leider nur ein paar mm runtersetzen, bevor der Widerstand des Moosgummis unten drunter zu hoch wird. Ansonsten hab ich keine Dead Spots gefunden.
Abgesehen davon, finde ich den Klang aber sehr gut. So gut, dass der garantiert später auf Aufnahmen von mir landen wird und mich tatsächlich dazu bewogen hat, mir einen anderen PJ-74 privat zu kaufen. Der trifft die Sparte „Klingt nicht übelst höhenreich, geht aber auch im Mix nicht unter.“ Für modernen low verzerrten Metalbass genau richtig. Inwiefern für den Klang der Verstärker und Speaker eine viel wichtigere Rolle spielt, muss hier jeder für sich selbst wissen. Klangmäßig macht der imo auf jedenfall meinem TRBX Konkurrenz und liegt noch vor einem Marcus Miller V3, den ich mal hatte.
Mein Plädoyer:
Im Gegensatz zu manch anderen Harley Benton Produkten von denen ich sehr enttäuscht war, stimmt hier tatsächlich nicht nur das Preis/Leistungsverhältnis, sondern auch die allgemeine Wertigkeit des Instruments. Mit Ausnahme der Sattelsache. Davon abgesehen, muss man von der Haptik und Verarbeitung schon ne größere Stange zusätzlich auf den Tresen legen, bevor man die nächsthöhere Qualitätsstufe merkt. Holz, Pickups und Klang liegen imo bereits vollständig innerhalb der Geschmackssache. Verglichen mit einem Yamaha TRBX 504 merke ich jedenfalls nicht, dass der Yamaha 3 mal mehr kostet.
Für all diejenigen, die einfach nur nen Bass haben wollen, der, bis auf die Sattelsache, keine ernst zu nehmenden Qualitätsmängel hat, sage ich: Glückwunsch, es reichen heutzutage 200€, um ein völlig okayes Instrument zu erwerben.