Man bedenke, dass man für den selben Preis woanders gerade mal einen Tonabnehmer bekommt. Oder eine Brücke. Oder einen Satz Stimm-Mechaniken. Ich wollte nach über 20 Jahren Gitarren-Abstinenz aber wissen, ob ich noch Spaß dran habe. Spoiler: ja, habe ich. :)
Um den finanziellen Impakt niedrig zu halten, habe ich mir zunächst die Harley Benton R-457 BK Progressiv Series gekauft.
Meine Erwartungen waren bei dem Preis recht gering.
Als das Instrument, ordentlich verpackt, bei mir ankam, war ich zunächst total überrascht: so gut aussehend, bzw. verarbeitet hatte ich das nicht erwartet.
Auch die Saitenlage war recht gut eingestellt.
Nach einer Weile Spielen stellte sich dann doch etwas Ernüchterung ein: die Stimmung war vor allem auf den tieferen Saiten eine Katastrophe, was vor allem an den (meiner Meinung nach) viel zu dünnen Saiten lag: das schlappert und wabbert, dass der Ton in einem Bereich +/. 20 cent um den Nullpunkt herum schwankt. Vollkommen unbrauchbar. Der Klang dadurch entsprechend matschig und mähhh. Nach und nach habe ich die B-Saite dann hochgelevelt auf eine .064er - und siehe da! Es geht! Deutlich bessere Stimmung und deutlich knackigerer Anschlag.
Der Tonabnehmer macht ordentlich Lärm - aber viele schrieben ja, sie hätten diesen ausgetauscht. Ich wollte es wissen und habe ebenso einen anderen reingeschraubt (Entwistle Darkstar. Offenbar ein Underdog, aber gut, und sehr preiswert) Überraschung: man muss schon sehr genau hinhören, um einen Klangunterschied festzustellen. Kann sein, dass der Darkstar etwas druckvoller, transparenter und klarer ist, als der HB-Tonabnehmer, aber das ist wirklich nur marginal. Einen der oben erwähnten Tonabnehmer der Preislage wie die gesamte Gitarre würde ich hier nicht rein basteln - das ist sicher zu viel des Guten.
Vom Optimierungsfimmel gepackt stand ich vor der Wahl, an der HB weiter zu bauen oder gleich in ein neues Instrument zu investieren. Der Sattel zB. müsste (zumindest bei meinem Instrument) dringend ausgetauscht werden: die Sattelkerben sind nicht sauber gefeilt, sondern wirken regelrecht ausgefranst. Das dabei keine saubere Stimmung hält, wundert nicht. Die Brücke ist nicht optimal eingesetzt, sondern steht 2-3mm versetzt - dadurch laufen die Saiten nicht mittig über dem Griffbrett. Die Stimmmechaniken tun ihren Job, halten auch - haben aber viel Spiel.
Da mittlerweile klar war, dass ich weiter gern E-Gitarre spiele (Black/Doom Metal) wurde es schließlich eine neue Gitarre (Schecter Omen Extreme).
Der Vergleich beider Instrumente brachte dann wiederum eine Überraschung: Klanglich kaum* Unterschiede. Auch nachdem ich in die Schecter einen der hochpreisigen Tonabnehmer eingebaut habe.
Mag sein, dass dies an meinem Setting liegt: ich spiele ausschließlich via Interface mit Ampsim. Die Wahl der verwendeten ImpulsResponses hat hier einen deutlich höheren Einfluss auf den Klang …
Insgesamt betrachtet, ist die Schecter das bessere Instrument: bessere Stimm-Mechaniken, besserer Sattel, bessere Verarbeitung, besseres Design. Bessere Stock-Pickups. Aber …
Fazit: Ein paar Kleinigkeiten, sollte man ändern, (einen 64er Saitensatz, Saitenlage, Halskrümmung, ggf. Sattel) ansonsten ist das ein erstaunlich gutes Instrument. Mir ist völlig unklar, wie dieser Preis zustande kommen kann.
* zur Erklärung: natürlich GIBT es hörbare Unterschiede - doch die sind meiner Meinung nach nicht so drastisch, wie sie oft geschildert werden.