Da habe ich als Oldschooler doch einige Zeit überlegt, Kritiken gelesen, Videos geschaut; eine Gitarre aus dem Internet kaufen? Nur weil sie billig ist?
Die Kommunikation mit Thomann hat sich dann fast angefühlt, als würde ich im Geschäft stehen. Da wurde nicht "verkauft", sondern Fragen wurden kompetent beantwortet, die Kundenbetreeung ist äußerst zuvorkommend. Damit wird ein vertrauenswürdiges Setting geschaffen.
Also habe ich das Instrument bestellt und es kurz darauf gut geschützt und verpackt erhalten.
Zur Konstruktion:
Sofort fällt auf: hier wurde mitgedacht! Die Kopfplatte ist unter dem Griffbrett unter den ersten Bünden mit dem Hals verleimt, nicht an der Knickstelle unter dem Sattel.
Der Hals ist an 5 Punkten mit dem Korpus verschraubt. Die Schrauben sitzen auf gleichfarbigen Beilagscheiben, die, in flachen Fräsungen liegend, plan mit der Unterseite des Korpus abschließen. Da steht nichts heraus und es verrutscht nichts, die Verbindung ist fest und stabil! Technisch und ästhetisch eine bessere Lösung, als die vintage Metallplatten, die sonst den Druck der Schrauben verteilen.
Der Korpus ist an den Rändern abgerundet und dadurch sehr ergonomisch. So wurde aus einem Brett so etwas wie eine archtop Form geschliffen.
Der untere Cutaway ist weit genug, daß selbst grosse Hände ungehindert bis zum 24. Bund gelangen- auch keine Selbstverständlichkeit.
Da drückt und stört auch bei längerem Spiel nichts!
Die Bohrungen, durch die die Saiten von unten durch den Korpus geführt werden, befinden sich perfekt auf einer Linie.
Die Verarbeitung des Instrumentes, daß ich erhalten habe, ist ausgezeichnet!
Lackfehler am Korpus habe ich im gleißenden
Sonnenlicht gesucht; nur so aus Interesse, weil ich diese, im Verhältnis zu anderen Features, für unerheblich halte.
Die weisse Lackierung ist nahezu perfekt und wirkt widerstandsfähig.
Die Lackschicht am Hals ist übrigens dünner, klar und haptisch sehr angenehm.
Die Einzelbridges wirken hochwertig und ermöglichen problemlos das Einstellen einer guten Saitenlage und Bundreinheit.
Der Sattel am anderen Ende der schwingenden Saite ist bei dieser Gitarre perfekt. Da wo Billiginstrumente oft schwächeln, wurde nichts verschenkt. Sattelhöhe, Einkerbungen, Saitenabstand: Ausgezeichnet.
Der Sattel ist die Grundlage für eine gute Bespielbarkeit. Respekt,-wirklich.
Hier war kein Nacharbeiten notwendig!
Ich konnte eine extrem gute Saitenlage realisieren, nah am absoluten Optimum, so gut sind die Voraussetzungen, die auch der Hals bietet.
Der Halsquerschnitt, ein flaches D, nicht zu dick, nicht zu dünn, trifft wirklich meinen Geschmack!
Zum Klang:
Das Instrument zeigt trocken gespielt eine hervorragende Resonanz, und klingt ganz einfach schön.
Die aktiven PUs haben einen runden vollen Klang, mit einer Nase im unteren Mittenbereich.
-Jazzie-, weder dünn noch spitz.
Leider nicht sehr ausgewogen, was die Lautstärke der einzelnen Saiten betrifft und bei Akkorden zeigen sich Schwächen in punkto Definition und Transparenz. Verzerrt fehlt ein wenig der Biss. Insgesamt nicht optimal, unbrauchbar sind sie aber nicht!
Die Lötstellen im Elektrikfach sehen sauber aus.
Sonst kann ich über die Elektronik nichts sagen.
Drewegschalter, ein Ton-, ein Volumpoti: der Drehwidersand ist sehr angenehm, die Verarbeitung der Bauteile wirkt stabil, nicht filigran oder klapprig.
Die Lautstärke nimmt am Ende des Regelweges nichtlinear zu, dafür fadet der Ton am Anfang des Regelweges schön ein und "springt" nicht plötzlich an. Damit kann ich gut leben. Die Klangregelung tut was sie soll.
Die Klinkenbuchse macht auch nach Monaten keine Probleme, da wackelt nichts und die Kontermutter neigt auch nicht dazu, sich zu lockern.
Die Mechaniken sind nicht gut. Wenn man sich aber angewöhnt, die Saiten immer von unten zum gewünschten Pitch zu stimmen, ist die Sache dann doch in den Griff zu bekommen. Das Instrument zeigt sich dann aussreichend stimmstabil.
Fazit zum Instrument: Wo man hinsieht gute durchdachte Detaillösungen. Es handelt sich in vieler Hinsicht um ein gut entwickeltes und ausgereiftes Konzept und, ich muss es deutlich sagen: ich scheiss mich an, so gut ist die Grundsubstanz dieses Instrumentes! Echt.
Meine Bewertungskriterien sind die, die ich auch bei einer ums 10- oder 20fachen teureren Gitarre anlegen würde. Bei diesen ist es auch üblich z.B. PUs nach eigenen Vorlieben zu wechseln.
Ein kleiner aber schmerzlicher Fehler ist mir nach einigen Stunden aufgefallen: Es gibt für mich zwei heilige Bereiche an einer Gitarre, -die Halsrückseite und die Bünde. Leichte Grate waren am 7. Bund der A-Saite zu spüren und zu sehen. Da hat jemand nicht aufgepasst.
Also Saiten runter und her mit dem 600er Schleifpapier. Die Grate verhalten sich jetzt völlig unauffällig und beeinträchtigen weder das Spielgefühl noch den Klang. Bei der Gelegenheit habe ich das Griffbrett mit Öl eingelassen, was dem zartvioletten Farbton des Amaranthgriffbretts sehr gut steht.
Fazit: Eine Gitarre, die Zuwendung verdient und anhaltend Freude bereitet.
Extendet Range Multiscale Gitarren sind eine Challenge, die es Wert ist angenommen zu werden. Die Umstellung auf ein solches Instrument ist ein Prozess. Wer behauptet, der Umstieg von 6- auf 8 Saiten sei kein Problem und die Umstellung auf ein Multiscale-Konzept vollzöge sich über Nacht von selbst, ist entweder ein Genie oder ahnungslos. Mit dieser Gitarre ist eine mehr als gute Basis geschaffen, sich mit dem Thema zu befassen. Do it!
Ich überlege, mir eine zweite Harley Benton R-458 WH Fanfret anzuschaffen, um während eines Umbaus (PUs, Mechaniken) nicht auf dem trockenen zu sitzen. Die würde ich danach einem meiner Gitarrenfreunde schenken, um sie oder ihn anzufixen und ihr bzw. sein Gitarristendasein für immer zu verändern.
Zwei Wünsche an den Hersteller zum Schluss:
Eine geringfügig längere Mensur (ca. ein Bund).
Und
please go Headless, please !!!