Durch den Commodore Amiga 500 bin ich in den 90ern als Jugendlicher das erste Mal
durch Sampler und Tracker mit Musikproduktion und Sounddesign in Berührung gekommmen.
Obwohl ich nun mittlerweile mehrere Sampler zu Hause stehen habe, hatte ich mich
dennoch für den Kauf des Polyend Tacker entschlossen - und musste ihn schweren
Herzens doch wieder returnieren. Meine Bewertung bezieht sich auf den Polyend Tracker
in Firmware Version 1.4 und die zu dieser Zeit erhältliche Hardware Revision
(abgerundete Buttons, verbessertes Jogwheel).
Das Gerät bootet nach dem Anschalten in Nullkommanichts hoch und lädt anschließend
den zuletzt bearbeiteten "Workspace", welchen das Gerät beim Herunterfahren
automatisch auf der mitgelieferten SD Karte ablegt. Die Software ist sehr gut
durchdacht, intuitiv zu bedienen, jedoch in der von mir getesteten Firmware
Version noch ziemlich verbuggt. Hier kommt es einfach noch zu häufig zu Abstürzen.
An dieser Stelle bin ich jedoch zuversichtlich: es erscheinen regelmässig Updates
und Polyend zeigt sich mit dem öffentlichen Bugtracker auf github erfreulich
transparent. Neben den dortigen Bugreports lässt sich ebenfalls eine Liste der
Feature Requests einsehen. Wenn die Entwickler bei Polyend weiterhin in dieser
Geschwindigkeit Firmware Updates zur Verfügung stellen, darf man sich gewiss
über baldige Bugfixes und neue spannende Features freuen.
Wer sich bereits mit Trackern beschäftigt hat, einen gewissen Minimalismus und
das Hexadezimalsystem nicht scheut, wird sich mit dem Polyend Tracker definitiv
heimisch fühlen. Der Polyend Tracker ist wie auch viele gute Vorbilder aus der
Softwarewelt hervorragend umgesetzt und aufgrund der zahlreichen Buttons
intuitiv zu bedienen. Einschränkungen, die der Polyend Tracker "by Design" mit
sich bringt habe ich als Kreativitätsbooster empfunden, da man im Unterschied zu
vielen anderen Samplern nicht durch eine Fülle an Features erschlagen wird. Und doch
vermisst man beim Polyend Tracker nichts, was sich nicht über bestehende Features
umsetzen liesse und es ist auch genau das, was mir persönlich daran gefällt, da
diese vermeintlichen Einschränkungen zum Experimentieren ermutigen. Die "Belohung"
ist das Gefühl, etwas eigenes kreiert zu haben und hat auch das Potenzial, dabei
einen eigenen, charakteristischer Klang entstehen zu lassen. Hierbei beziehe ich
mich sowohl auf das Processing von Samples, aber auch auf die Programmierung von
Patterns. Es macht zum Beispiel riesig Spaß, einen Swing nicht nur nach Gehör
arrangieren, sondern per Micro-Timing Effekt auf Basis von Zahlenwerten programmieren
zu können.
Dennoch ist der Polyend keine in Hardware gegossene, aufgebrühte Tracker-Software,
sondern kommt mit neuen Features daher. Kein passendes Sample zur Hand oder auf
der Suche nach Inspiration? Weshalb nicht das eingebaute FM-Radio als Samplequelle
verwenden, dessen Aufnahmen man nicht nur im Sample Editor, sondern auch per Granular-
und Wavetable Synthese weiterverwursten darf? Auch wenn ein Radiosender gerade mal
nicht rauschfrei zu empfangen ist kann dieses Rauschen genau das sein, was dem Song
den nötigen Lofi- bzw. Oldschool Charakter verleiht! Herumspielen führt hier sehr
schnell zu brauchbaren Ergebnissen!
Dank des sehr kompakten Formfaktors und der Möglichkeit, den Polyend Tracker per
Powerbank betreiben zu können eine riesen Spaß- und Kreativitätskiste für die Couch
oder unterwegs!
Was mir am Gerät stark missfällt und mich letzten Endes dann doch zur Rückgabe
veranlasst hat, ist die mehr als mangelhafte Verarbeitung. Da ich zuvor in diversen
Tests über die angeblich hervorragende Verarbeitung des Trackers gelesen hatte war
ich an dieser Stelle dann doch sehr verwundert und enttäuscht darüber, was sich da
dann tatsächlich vor mir offenbarte. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass
die verwendeten Materialien grösstenteils solide sind, jedoch einen aufgrund der
Verarbeitung alles andere als robusten Eindruck erwecken.
Ich hoffe für alle potenziellen Käufer und (da ich ein großer Fan der Idee von in
Hardare gegossene Tracker bin) ebenfalls für den Hersteller, dass es sich bei meinem
Gerät um ein Montagsmodell gehandelt haben muss: einige der Tasten waren schräg in das
Gehäuse eingefasst, was nicht nur optisch schlecht aussieht sondern auch bei der
Bedienung/Haptik stört, da sie unterschiedlich schwergängig sind oder sogar klemmen!
Das Jogwheel des Polyend Tracker hat laut diverser Berichte im Netz in einer vorangegangen
Hardare Revision unter häufigen Defekten gelitten (es gibt sogar ein Reparaturvideo auf
bekannten Videoplatformen im Internet) und auch die aktuelle Revision hinterlässt
gemessen am derzeitigen Preis von knapp 490€ keinen stabilen Eindruck. Der TFT Bildschirm
meines Polyend Tracker zeigte ausserdem statt eines klaren, ein verwaschenes, rauschendes
Bild, auf dem man den einzelnen Pixel bei näherer Betrachtung beim Hin- und Herspringen
zusehen konnte (auch hier findet man durch eine Recherche im Internet weitere betroffene
Benutzer. Stichworte: Polyend Tracker bad screen).
Leider erweckt die mangelhafte Verarbeitungsqualität des mir vorliegenden Geräts den
Eindruck, dass es bei Polyend schwere Versäumnisse in der Produktion und Qualitätssicherung
zu geben scheint. Leider musste ich es aufgrund dieser Unzulänglichkeiten und aus Zweifel
an dessen allgemeiner Robustheit und Langlebigkeit zurücksenden. Einem zukünftigen Kauf wäre
ich alles andere als abgeneigt, sofern das Gerät zu einem gleichbleibenden Preis eine
angemessene Robustheit aufweisen können wird.
Ich finde es sogar äusserst schade, dass ich dieses Gerät zurücksenden musste, da es sich
um den ersten Hardware Sampler handelt, dessen Workflow mir persönlich zu 100 Prozent zusagt,
in dessen Preissegment ich aber zu keinerlei Kompromissen bereit bin. Wie gerne hätte ich
den Polyend für die Sequenzierung meines Hydrasynth verwendet! Wieviel mehr Spaß hat mir
die intuitive und bewusst reduziert gehaltene Benutzeroberfläche des Polyend Tracker im
Vergleich zu meiner Akai MPC One gemacht!
Schade, Polyend! Ich hoffe, dass sich in der Produktion und Qualität künftig noch einiges
tun wird und wünsche allen Kaufinteressenten mehr Glück als ich es hatte und dann vor allem
viel Spaß! Denn das ist es, was diese Kiste allen anderen voraus hat - vorausgesetzt man
bevorzugt es, Beats durch Programmierung zu erstellen.