Als Besitzer aller drei bisherigen Modelle der Serie "Aira Compact" war ich neugierig auf den vierten Sprössling, den S-1.
Ein wenig erwachsener als der J-6 und der T-8 (E-4 außen vor) ist er ja schon geworden, gibt es doch -endlich- tiefgreifende Editierungen
und die Möglichkeit der Aufzeichnung von Parameteränderungen sowie u.a. Möglichkeiten der Wellenformgestaltung und dazu dynamische Klangveränderungen per 'Kipp und Schwenk', D-Motion genannt.
Schön: Die zu Grunde liegende ACB-Technologie der Klangsynthese liefert Drastisches, Modulierendes, aber durchaus auch Filigranes und Edles an die Horchorgane ab, wenn man sich durch die funktionsbedingt komplexeren Tiefen der Menüstruktur -ja- kämpft..., das passt wohl,
nachdem man sich an den nur(!) 16 Presetphrasen auf das Erwartbare fröhlich eingestimmt hat.
In puncto Funktionsumfang hat sich in der Tat also einiges ereignet, und man könnte meinen, eine Art Aira Compact der Generation 2.0 in den
Händen zu halten.
Am später zu ziehenden Fazit ist jedoch zu erkennen, dass es sich beim S-1 in der Tat wohl noch um einen Jugendlichen handelt und keinen ausgereiften Musizier- und Spielkamerad seiner portablen Gattung. Denn es ist erkennbar, dass Roland bei der Idee und letztlich bei dem Gesamtdesign und der Umsetzung an irgendeiner Stelle die Kontrolle verloren zu haben scheint. Denn das User interface, die Features und die Haptik haben eine Potenzierung von Widersprüchen hervorgerufen, hier und da, denn es passt vieles nicht recht zusammen.
Natürlich: Das analoge Original, das wohl kaum jemand als virtuell-analoge(!) Hardware-Replika erstehen wollen würde, war nur monophon und entbehrte all' der Schmankerl, die Roland mit dem neuen kleinen Grünling nun feil bietet; Sound und Reverb sind noch dazu
sicher Klassenbeste und der Preis für das Gebotene eine Ansage, auch in Richtung Korg.
Aber: Wenn man sich schon selbst plaggiert, dann sollte das Gesamtwerk doch schlüssig sein..., die Tragik zeichnet sich ab bereits ab.
Was fehlt dem S-1 nun zum Erwachsensein:
1. 4 Stimmen Polyphonie: Ein immer noch schlechter, alter Witz und Wutmotivator seit Boutique. 'Die können wohl nicht davon lassen, das verdient Ohrfeigen'.
Bitte bei R&D Roland öfter mal kräftig durchlüften und Sauerstoff tanken und die Ohren in Richtung Kunden bewegen: WIR WOLLEN ENDLICH mind. 6 Stimmen!
2. Display: Schon als Boshaftigkeit zu bezeichnen, bei dieser Menütiefe des S-1. Korg machte es beim Volca Drum besser vor, da man erkannte, dass bei 14 Segmenten im Display zügig die Grenze des Unzumutbaren erreicht ist, wenn die Möglichkeiten den urspünglichen Rahmen sprengen - Hut für den Mut der Anpassung.
3. Warum lassen sich die Bewegungen bei D-Motion nicht im Sequenzer aufzeichnen? Doof und eines Updates würdig! Oder war ich zu doof, die Option zu finden?
4. Wenn man (löblicherweise) das SH-101 - Vorbild nicht 1:1 nachempfinden, aber den Klangcharakter einfangen wollte, warum spendierte man keinen zweiten Hauptoszillator zum Sub dazu? Verstimmungen und komplette Neuschöpfungen, auch dank des Waveshapings, bleiben dadurch außen vor.
5. Bi-Timbralität wäre doch sinvoll, oder? Und wenn man den rechenintensiven (sehr brauchbaren) Hall abschalten könnte, ließe sich
wohl die Prozessorpower fakultativ für die Punkte 1,4 und 5 freischaufeln..., oder gar gleichzeitig? Das wäre ein Traum.
6. Und wenn das Ganze schließlich nicht für 200€/$ Retail zu machen ist, dann eben für 250, zumal die Volca-Preisregion ehedem schon
mit Erscheinen der ersten drei Boliden verlassen wurde..., et voilà: Generation 2.0 wäre kreiert. Und der J-6 wartet übrigens m.W. immer noch auf einen Editor, mit dem man endlich tiefgreifend in das Soundgeschehen eingreifen kann; soviel zur Produktpflege, die ansonsten bei Roland tipptopp ist, das so mal als Randnotiz bei allem Genörgle.
Aber ich ahne, dass man keine Kannibalisierung mit der Boutique-Linie betreiben will/wollte, jedoch den Zenith dürfte dieselbe seit einiger Zeit sowieso überschritten haben, wieso dann diese Halbherzigkeiten immer noch?
Fazit: Er ist halt ein Jugendlicher, der kleine Grünling S-1, hätte aber schon die Gene für einen Vollbluterwachsenen seiner
Zunft, somit wurde -mal wieder- wohl hastig oder mit dominantem Rotstift entwickelt und der Fangemeinde ungewollt suggeriert, dass auch im Hause Roland insgesamt der Zenith der schlüssigen Innovationen, von denen man noch Jahre später spricht, überschritten ist..., oder etwa doch nicht?
Und mal ehrlich: Diesen Sound kann die ZEN-Technologie in Soft-wie Hardware auch ganz gut; warum dann mit einer Box frickeln, die so winzige Bedruckungen, Potis und derlei komplexe Menüebenen mit sich bringt, die man zudem noch auf dem 70er Jahre-Display kaum interpretieren kann, ohne den Humor zu verlieren?
Die Mobilität wird durch die Notwendigkeit eines Smartphones oder Tablets, welches die Anleitung parat hält, außerdem noch teilweise konterkariert.
Ergo: Zurück ins Labor, und die Aira Compactis endlich 'rund' machen, liebe Rolandos, denn drei Geräte (den E-4 kann man ausnehmen) zum Rumprobieren, wie man den Nerv der treuen Kunden der 2020er 100%-ig trifft, sollten nun doch genügen.
Ergänzung Juli/24: Ich gab ihm eine weitere Chance, orderte ihn erneut, für immerhin 14€ günstiger, denn der Klang ist doch zu gut, die Features umfassend etc. und meine Bewertung war insgesamt zu hart. Das Aira-Compact - Konzept hat nun mal seine haptischen bzw. funktionalen Limitierungen. Sollte die Serie in die Fortsertzung gehen, sähe ich dennoch Optimierungsbedarf beim Display. Behringer macht es vor, dass kleine OLEDs o.ä. gut machbar sind; dies sollte sich Roland auf die Fahne schreiben und das kryptische Mehrsegment LED-Display als Konzept aufgeben. ;-)