Nach dem Video von Rabea Massaad zum OD-200 dachte ich, jau, den hat wohl jemand gezwungen das Teil zu testen, diese Begeisterung... er hat brav alle Sounds anerkennend abgenickt, aber ich wette, er würde das Teil niemals selbst verwenden. Ist halt digital.
Selbst Schuld. 12 amtliche Sounds, darunter sogar ein Fuzz, den ich ertragen kann -- normalerweise bügeln die Teile jegliche Gitarrenunterschiede weg. Hier auch, aber das Resultat in einen leichten Overdrive gespeist, klingt cool. Und überhaupt. Ich brauche eher selten einen Verzerrer, ich bevorzuge das Übersteuern meiner Lieblingsamps real oder auch im Kemper. Daher muss ich für diese eher seltenen Anlässe nicht 12 handgeschmiedete Kistchen auf mein Pedalboard pfriemeln, sondern das OD-200 ist hier ideal.
Die Verzerrer klingen möglicherweise nicht exakt wie ihre Vorbilder, aber was mich das Ganze Modeling inzwischen gelehrt hat: Das ist eigentlich völlig wurscht. Entscheidend ist doch, dass gute Sounds rauskommen. Außerdem kann mir niemand erzählen, dass er tatsächlich einzelne Plexi- oder AC30-Jahrgänge per Ohr unterscheiden kann.
Und das OD-200 klingt gut, eigentlich sogar besser als etliche Originale, wenn man das Gerät zu nutzen weiß. Welcher Verzerrer kann schon eine Dreifach-Klangregelung vorweisen? Und bis zu 127 Speicherplätze, auf denen jeweils einen eigene Klangabmischung gespeichert werden, also Gain, Klangregler und Volume. Das ist folglich ein echter 127-Kanaler.
Damit nicht genug: Zu jedem Sound/Preset lässt sich ein Booster zuschalten, den man aus 15 Angeboten wählen kann -- zusätzlich zu den 12 Verzerrertypen selbst gibt es noch Clean, Mid und Treble. Das heißt, ich kann meinem Screamer noch einen Fuzz-Booster verpassen oder umgekehrt, wenn ich das wollte, und darüber noch mal separat das Gain für den Fuzz und die resultierende Lautstärke erhöhen. Sound-Bastler finden es vielleicht auch toll, dass man den Booster sowohl in Serie mit einem Verzerrer als auch parallel dazu betreiben kann.
Die Bedienung ist allerdings optimierbar. Wenn ich mittels Drehgeber im Manuell-Modus die Sounds durchschalte, erscheint jeweils kurz die Abkürzung des gewählten Modus. Wenn ich hingegen die Speicherplätze durchgehe (was sehr zu meiner Freude wahlweise mit Drehgeber, Drucktaster und Fußschalter geht), dann zeigt der OD-200 nur mn-1, mn-2 usw. an. Man muss also selbst eine genaue Buchführung über die zugrundeliegenden Modi betreiben -- das ist ziemlich blöd.
Ich jedenfalls kann nicht auf Anhieb einen crunchenden Screamer von einem crunchenden Overdrive oder Stack unterscheiden. Schade finde ich auch, dass der Booster nur im Zusammenspiel mit einem Verzerrer benutzt werden kann. Ist kein Verzerrer aktiv, gibt es auch kein Boosting. Dabei kann ein cleaner Booster ja durchaus nützlich sein. Vielleicht lässt sich ja mit einem Parallel-Booster was machen, habs noch nicht probiert.
Mein Fazit: Wer sich vor digitalen Kistchen nicht gruselt, der wird hier super und rundum bedient. Wenn ich überdies sehe, wie viele Single-Zerrer schon 300€ oder noch mehr kosten, dann ist der OD-200 durchaus preiswert.
Kleiner Nachtrag: Da ich nicht mit gigantischem Gain arbeite, komm ich normalerweise ohne Noise Gate aus, daher habe ich dieses hier auch vorhandene Feature nicht erwähnt. Aber das spart natürlich auch noch mal ein paar Euro. Zudem ist das Gerät midi-tauglich und mit 3 AA-Batterien zu betreiben. Die Batterien sind dabei -- ein Midi-Adapter für 3,5-mm-Klinke wie im OD-200 auf 5-pol. DIN im Lieferumfang wäre nett gewesen.
Mit dem Booster parallel zum Verzerrer lässt sich nicht wirklich einer der drei Booster halbwegs clean realisieren, wie ich oben im Text gehofft hatte. Und nach längerem Gefummel hab ich mir nun 12 Speicherplätze (von 127) so reserviert, dass ich die umlaufend abklappern kann -- ach, ein Editor wie bei RV- und DD-500 wäre schön, um die Übersicht zu behalten.