Seydels Session Steel ist eine Bluesharp erster Kajüte, die nur auf dem Foto und auf den allerersten Blick billig wirkt. Wenn du sie das erste Mal in der Hand hast, kannst du die herausragende Qualität förmlich fühlen, und wenn du sie spielst, wirst du mehr als zufrieden sein. Der orange Kunststoffkanzellenkörper ist zwar was für Fans, aber ich sehe die Farbe beim Spielen nicht. Einzig auf den Klang wirkt sich ein Kunststoffkorpus grundsätzlich aus, dies aber auch nur marginal. Holz klingt tatsächlich etwas bluesiger, aber auch nur etwas. Die allermeisten Leute hören den Unterschied sowieso nicht. Sobald du ne Fahrradlampe dranhängst, klingt übrigens ohnehin alles gleich. Da kann der Kanzellenkörper aus Plastik, Edelmetall oder bestem Holz bestehen - völlig wumpe, es klingt dann nur noch nach Fahrradlampe. Lange Nase, kurzer Sinn: Holz ist nicht schlecht. Dafür ist Kunststoff unempfindlich gegen Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen und lässt sich viel leichter pflegen. Der Kunststoff, den Seydel verwendet, hebt sich qualitativ spürbar von den Mitbewerbern ab. Vorwärmen ist natürlich trotzdem auch hier obligatorisch.
Die Haptik der Seydel ist ohne jede Übertreibung phänomenal. Sie liegt besser in der Hand als alle anderen Modelle und verwöhnt auch den Mund in einem Maß, wie es keine andere vermag. Sie gleitet perfekt zwischen den Lippen wie keine andere. Hiermit kannst Du stundenlang spielen, ohne dass es unbequem wird oder Du Angst um Deine Lippen haben musst. Die Session Steel spricht überdies so leicht an, dass sie auch problemlos mit der Nase gespielt werden kann und so perfekt geformt und verarbeitet, dass kein Nasenhaar hängen bleibt. Falls du mal versehentlich vergessen haben solltest, vor dem Spielen Zähne zu putzen und Fragmente des letzten Fischbrötchens in die Stimmzungen sausen, kannst du die Harp ganz leicht aufschrauben, um sie zu reinigen. Settings oder Reparaturen sind hier kein Thema. Die Session Steel ist "out of the Lederbehältnis" ohne Einschränkung spielbar.
Intonation, Sound und Lautstärke sind premium und werden dem Preis in vollem Umfang gerecht. Ich empfehle die Session Steel in C auch jedem Anfänger, weil sie in Lichtgeschwindigkeit auf alle Aufträge des Spielers reagiert und insbesondere sehr schnell für Erfolgserlebnisse sorgt. Jede Modulation des Luftstroms setzt sie sofort um. Ziehbendings gelingen in allen Kanälen (bis auf 5, ist ja klar) kinderleicht und hochpräzise. Wahnsinn. Für Anfänger dürften auch die größeren Kanalöffnungen und -abstände von Vorteil sein. So lernt man von Anfang an leichter, saubere Einzeltöne zu spielen.
Seydels kleines Schätzchen kommt mit einem netten kleinen Mikrofaserputztuch und in einem offenen Lederetui. Ihre Schwestern aus Trossingen mit dem großen H im Namen gibt's standardmäßig in einem Plastik- oder Textilcase, dafür aber ohne Putztuch. Fakt ist: Die weltbesten Harps kommen aus Trossingen und immer öfter aus Klingenthal! ;-)
Nachtrag: Ich spiele oft, exzessiv und schone die Instrumente nicht unbedingt. Während ich meine gleichteuren Marine Band Deluxe Harps alle paar Wochen aufschrauben muss, um für eine gute Ansprache die Abstände der Stimmzungen zu korrigieren, werden die Session Steel von Woche zu Woche besser. Und die Seydels haben seit dem Kauf noch nie einen Schraubendreher gesehen. Inwischen bin ich davon überzeugt, dass es unter 75 Euro kein besseres Instrument gibt - trotz des Kunststoffkanzellenkörpers. Dafür gab's seinerzeit "nur" vier Features-Sterne (weil ich Holz einfach lieber mag), aber wenn ich für die Features vier Sterne gebe, müssen Ansprache und vor allem Verarbeitung sechs Sterne bekommen. Inzwischen habe ich auch die Vorzüge des offenen Lederetuis in praxi schätzen gelernt. Damit ist das Instrument in der Hosentasche viel besser geschützt als in einer sperrigen Plastikschatulle.
Heute ärgere ich mich fast etwas darüber, dass ich mich von den vielen guten Kundenbewertungen der anderen Marke leiten ließ und nicht von Anfang an auf die Session Steel gesetzt habe. Es gibt wirklich nichts besseres.