Resümee vorab (kurz):
Was für ein geiles Teil! Ob ich es mir jedoch zum üblichen Straßenpreis von aktuell knapp unter 300 Euro gekauft hätte? Nach dem Test: Ja, vielleicht.
Zum Jubi-Preis jedoch: Unbedingt zuschlagen!
Resümee vorab (länger):
Kampfansage: Vergesst USB-Mikrofone und holt euch das Teil mit einem guten XLR-Mikrofon (zumindest während des Sonderangebots). Das Interface kann so viel mehr! Und: Ja, gleich das Two und nicht das One, denn hier steckt die Zukunft drin. Schlägt nach meinen Tests auch die Unify-Software von Rode.
Pros und Cons:
Positiv: Wirklich rauscharm und im Gegensatz zur Scarlett mal ein guter Kopfhörerverstärker (geht doch!). Übersichtlich, intuitiv und mit der Software (aktualisiert) einfach nur genial.
Negativ: Der Auto-Gain sieht im Halo-Ring zwar nett aus, liefert aber zu schwache Ergebnisse. Da muss man händisch nachregeln, sonst erreicht man nicht die -23 oder gar -18 LUFS. Für Live-Streamer ohne Post-Production ist das relevant. Weiter: Die Soft-Touch-Buttons werden langfristig ein Schwachpunkt sein und zu Garantiefällen führen. Die OVP also schon mal gut aufheben...
Wünsche für die Zukunft:
In der Software sollte die Möglichkeit geschaffen werden, eigene Presets neben den vier vorgegebenen (die man anpassen kann) anzulegen. So zum Beispiel eins für Manfred oder Monika oder oder...
Hardware: Ich wünsche mir noch eine passende, kompakte Tasche in der Art einer Sennheiser-Mikrofontasche für den Transport im Producer-Rucksack sowie ggf. auch einen Decksaver (selbst für das Streamdeck gibt es welche).
Damit geht es in die Details.
Mein Anwendungsgebiet ist nicht der Podcast, sondern, als Herausforderung, der Webcast (Internetradio und entsprechende off-Air-Produktionen (VP, VT, Interviews)). Damit ist es zwingend notwendig, das laufende Programm wie auch sich selbst zu monitoren (direct bzw. zero latency monitoring). Kann jedes Interface, und auch das Vocaster.
Was mich anfangs jedoch zweifeln ließ: Wie bekomme ich die Summe ohne das laufende Programm zurück in den Encoder der Sendesoftware?
Zur Erinnerung: Eine Scarlett macht das ohne viel Einstellerei. Hier aber liegt die Lösung in den Tiefen der Software, und sie macht das bravourös. Laut Bedienungsanleitung (Seite 28) stehen insgesamt 14 (!) Kanäle bzw. 2x 7 Stereokanäle zur Verfügung.
Klar, ich könnte jetzt die Mikrofonkanäle in die Software routen, aber dann verzichte ich auf AUX oder Bluetooth im Mix.
Die Lösung lautet: 1&2, "Video Call L&R". Im Gegensatz zum "Show-Mix", der alles nimmt, ist der Video-Call ein echter Cleanfeed aka Mix-Minus oder "n-1", bei dem Loopback 1 und 2 eben nicht ausgesendet werden.
Ist zwar auf Anhieb nicht ersichtlich, aber eine super Lösung, die richtig Laune macht. Damit ist es auch für mich als Webcaster in einer mobilen Umgebung eine 1a Produktionsmöglichkeit.
Apropos Cleanfeed: Die Einbindung eines Telefons über Miniklinke (AUX) oder Bluetooth funktioniert wirklich super. Da die Smartphones in Zukunft wahrscheinlich kaum noch TRRS-Buchsen haben werden (und das passende Kabel von Rode heftig teuer ist), ist man hier mit Bluetooth weit vorne. Da das Vocaster One diese Option nicht hat... denkt euch den Satz zu Ende.
Abgesehen davon hat man immer mal einen Gast am Mikrofon, und sei es mobil auf einem Straßenfest: Zwei vor Ort am Mikrofon und über BT die Verbindung ins Studio. Strom aus der Powerbank: Wow!
Im Gegensatz zu meinen vorherigen Scarlett-Erfahrungen (die mich dann zu Steinbergs UR getrieben haben), kann hier der Kopfhörerverstärker wirklich was. Keine Klagen.
Mit dem Auto-Gain hingegen hadere ich etwas. Die Funktion selbst ist richtig cool, aber das Ergebnis enttäuscht: Die Berechnung ist übervorsichtig und erfolgt nach dem Motto "bloß nicht in den gelben Bereich kommen". Dann aber wird es zu leise, zumindest live, wenn man nicht nachbearbeiten kann. In meinen Tests musste ich in den orangenen Bereich nachregeln, um akzeptable Pegel zu erzielen.
Nachmessen der eigenen Sprachaufnahmen ist vorab daher unbedingt angezeigt.
Was ist jetzt mit den Klagen über die Kombination der Lautstärke für Kopfhörer und Monitor?
Das kann ich nicht so richtig nachvollziehen, weil ich diesen Anwendungsfall nicht habe (eine Scarlett kann den Monitor Mute ja auch nicht). Als Webcaster gibt es für mich nun mal die Kopfhörerpflicht bei offenem Mikrofon. Und solange in der Software, dem Vocaster Hub, keine API für Streamdeck oder gar Sendesoftware (mAirList) besteht, wüsste ich nicht, wie das zu steuern wäre.
In der Software selbst kann ich die Monitore und/oder die Kopfhörer stummschalten, auf Dauer ist das aber zu viel Klickerei.
Damit zu dem, was mich an der Software begeistert hat: Mir wurde umgehend ein Update angeboten, das einige Kritikpunkte in so manchem Video oder einer Rezension aufhebt. Zumindest die Thomann-Rezensionen könnt ihr anpassen.
Und solange Focusrite auf die Anwender hört und Updates in der Software bzw. der Firmware anbietet, bin ich absolut zuversichtlich.
Die Software ansich, die sich ohne Zwangs-Registrierung installieren lässt, ist auch für Anfänger schnell erlernbar.
Im Gegensatz zu Rodes Unify (hatte ich auch im Test) ist die hier leicht und intuitiv bedienbar.
Ich lasse mich, was Routing angeht, nicht so leicht aufs Glatteis führen (ich habe schon mit VBAN zwei Cleanfeeds eingerichtet, da gab es noch keine Unify oder Vocaster Hub), aber die Australier haben mich da doch etwas ins Schleudern gebracht. Das muss man erst mal schaffen! Für das Vocaster Hub hingegen gibt es einen ganz klaren Daumen hoch.
Lediglich einen Stern habe ich abgezogen: Bedienung. Meine Sorge ist, dass die Soft-Touch-Tasten auf dem Vocaster auf Dauer ausleiern oder im Druckpunkt nachlassen.
Sieht man davon ab, gibt es von mir eine ganz klare Kaufempfehlung.
Auch wenn ich im Bereich Webcast, Interfaces und Mikrofonie sonst super kritisch bin: Hier gibt es fast gar nix zu meckern und ich kann jedem Einsteiger nur raten "Hol' dir das Ding mit einem ordentlichen XLR-Mikrofon und du bist zukunftsfähig".