Einleitung:
Als Synthesizer-Enthusiast mit klassischer Klavierausbildung haben mich die leichten Synth-Keys immer fast wahnsinnig gemacht, man brauchte viel zu wenig Kraft, um zu spielen, Fehlgriffe waren häufig, die meist nur fünf vorhandenen Oktaven waren eigentlich zu wenig.
Wir haben ein klassisches Yamaha Klavier, dort macht mir das Spielen viel mehr Spaß, aber es ist eben ohne MIDI-Support für die Synths.
Deshalb machte ich mich auf die Suche nach einem guten Masterkeyboard mit "schwerer" Hammermechanik und klavierähnlichem Spielgefühl.
Nach vielen Testberichten und Youtube-Reviews bin ich bei der Fatar 40/W in Form des Studiologic SL88 Grand gelandet und Thomann hat es schnell und sicher verpackt geliefert.
Positives:
Nach dem Auspacken und nach ein paar Minuten Spiel in Kombination mit einem JD 990 Synth setzte gleich ein "wow"-Faktor ein. Erstes Gefühl: sehr gut, viel kontrollierbarer, der gesamte Oktavumfang war (auch am "alten" Rompler-Synth) sehr gut nutzbar, ein Gefühl fast wie am Klavier, und endlich auch genügend Widerstand beim Spielen, manche Fehlgriffe wurden durch die schwere Gewichtung verhindert. Ein sehr hoher erzielbarer Dynamikumfang war gegeben, auch das "Retriggering" z.B. bei nur halb zurückgestellter Taste funktionierte - eigentlich super!
Saß dann auch gleich ca ein, zwei Stunden dran und war ziemlich begeistert. Es hat Spaß gemacht, aber: siehe unten.
Neutrale Punkte:
Da ich die Joysticks nicht brauche (externer Modulation/Pitchbend Controller im Einsatz), habe ich sie nicht bewertet, nur mal kurz angetestet und würde sie nicht für detalliertes Pitch-Bending oder genaue Modulationen verwenden wollen, die Joystick-Hebelwege sind dafür einfach viel zu kurz. Für simple Effekte und als Dreingabe klappt es aber natürlich, mit etwas Fingerspitzengefühl kann man z.B. auch einfaches "Vibrato" über das Modwheel halbwegs gut regeln, aber präzise und wiederholbar ist es nicht unbedingt. Dennoch ist das kein Negativpunkt, da die Mini-Sticks nur Dreingaben sind, man kauft das Keyboard vermutlich für die Tastenmechanik und das Spielgefühl.
Negatives:
Bitte nicht überbewerten - dies ist wirklich Klagen auf hohem Niveau - beim Spielen bei manchen Tasten hat sich bei mir hin und wieder ein leicht merkwürdiges Gefühl eingestellt, nach genauerer Untersuchung konnte ich für mich folgende zwei "Mängel" feststellen. Vermutlich liegen die Beobachtungen völlig innerhalb der Fatar-Toleranz, aber dennoch war es ungewohnt für mich, unser älteres Yahama Klavier hat diese Verhalten nicht:
1. Die Tastengewichtung selber ist sehr anständig (schwer -> leicht von den tiefen zu den hohen Tönen), aber es gibt bei manchen benachbarten Tasten doch Gewichtungsunterschiede, z.B. bei schnellem "Trillerspiel" fällt es auf, eine Taste hat spürbar (aber nicht überdeutlich) mehr Widerstand als die Nachbartaste. Diese Unterschiede treten auch merklich, wenn auch nicht ausgeprägt bei den oberen schwarzen Tasten in der selben Tastenregion auf.
2. Dies war mein Hauptproblem: die Rückstellgeschwindigkeit der Tastenmechanik ist fast überall homogen, aber eben nicht wirklich überall, es gibt zwei oder drei "Tastenpaare", bei denen eine Taste nach dem Loslassen vom tiefsten Punkt sehr schnell zurückstellt und oben sichtbar "federt", während die Nachbartaste eher träge zurückstellt und gar nicht federt. Also eine leicht andere Rückstellzeit oder Rückstellgeschwindigkeit. Der Effekt ist dann bei schnellem Akkordspiel, dass die eine Taste mit schneller Rückstellzeit "von unten" am Finger klebt, während sich die andere "langsame" Taste vom Finger löst, was zu Irritationen führt.
Fazit: wenn man Klaviertastaturen bevorzugt, dann ist das SL88 Grand eine 1000%ige Verbesserung zu den allermeisten Synthesizertastaturen. Punkt. :)
Meine Klage ist auf hohem Niveau, dennoch, wenn einen eine solche Tastatur hoffentlich über viele Jahre begleitet, dann ist es nicht ganz optimal, wenn doch hin und wieder eine Kleinigkeit stört. Gäbe es keine Alternative am Markt, würde ich sie behalten und wäre vermutlich ziemlich happy, aber jetzt habe ich Blut geleckt. :)
Habe also von der Money-Back Garantie Gebrauch gemacht und ein Kawai VPC1 bestellt - der Geldbeutel schreit natürlich, aber wenn man einmal eine Hammermechanik "von früher" gewohnt war, sie (zu) viele Jahre nicht in Verbindung mit Synthesizern gespielt hat und dann (wie ich mit dem SL88 Grand) eine Chance bekommt sie erneut auszuprobieren, dann wird man diesen Typ von Tastaturen vermutlich nicht mehr missen wollen. Und dann nur noch Racksynthesizer kaufen :).
Alles in allem ist das SL88 Grand ein wirklich ordentliches Masterkeyboard mit Hammermechanik und sehr klavierähnlichem Spielgefühl und schönen Holztasten, das vermutlich 99% der Leute, die kein OCD haben glücklich machen wird! Sie macht viel Spaß beim Spielen und ist eine Empfehlung für jeden gelernten Klavierspieler, der sich sonst mit leichtgewichteten Synthesizer-Tastaturen herumschlagen muss.