Die Lieferzeiten waren (2021/2022) jenseits von Gut und Böse. Doch die Wartezeit war es wert. Es ist mein erster Gitarren-Amp überhaupt, haben also keine Vergleiche außer irgendwelchen Software-Simulationen (Logic Pro und die eher brutale Simulation in Tascam Dp-24). Dadurch habe ich andererseits den Komfort, unvoreingenommen zu schreiben.
Kurz: vergesst das ganze Geklicke in Logic oder NI Guitar Rig. Hier bei Yamaha ist es natürlich auch Software. Die ist aber 1. harmonisch (oder mal auch disharmonisch…) mit der Hardware verdrahtet, 2. auf das Wichtigste konzentriert, sodass der Überfluss gerade am Anfang nicht ablenkt.
Als aus der Synth-Welt kommender Tüftler habe ich nie verstanden, was die ganzen Gitarreros so in den ganzen Amps besonderes finden. Amp ist amp. Dachte ich. Über den Tascam-Mixer konnte ich auch nie so richtig die Unterschiede zwischen verschiedenen Pickups wahrnehmen. Irgendwie schon, aber nicht so, dass das was ausmachen würde.
Das ändert sich dank Yamaha ganz entscheidend, gerade für einen Gitarren-Wiedereinsteiger ist das eine neue Welt. Die Gitarren werden fast schon zu gut abgenommen. Am Anfang schaltete ich auf die „Akustik“-Simulation, alles andere war mir zu brutal. Inzwischen finde ich Gefallen im Crunch, High Gain & Co.
Das Besondere an dem Amp ist in der Tat seine „Drahtlosigkeit“. Einfach einschalten, Gitarre mit (leider optionalem) Schnurlos-Kabel verbinden, los. Ich hätte nie gedacht, dass das „Luftkabel“ so viel Spaß macht, auch und gerade in einem kleinen „Kreativzimmer“. Keine Stolperfalle mehr, keine herunterfallenden Dinge. Die Verbindung steht, es rauscht nichts – überhaupt ist der Amp erfreulich rauscharm.
Kabelloses Audio-in geht auch: Sequenzer vom iPad etc. Allerdings hat die schnurlose Freiheit hier ihre Grenzen. Ich schließe den iPad & Co. doch lieber traditionell per Kabel in Audio-in.
Überhaupt, diese Schnurlosigkeit ist immer zweischneidig. Das Koppeln per Bluetooth ist anfangs einfach nur bescheuert – das ist es auch bei anderen Produkten, aber Yamaha hat sich da was Besonderes ausgedacht. Koppelt man wie gewohnt erst über das entsprechende Kontrollfeld am iPad/iPhone, muß später in der App nochmal gekoppelt werden. Am Ende hat man den Amp zweimal in der Bluetooth-Liste. Yamaha, es geht wirklich besser.
Die App selber ist optisch nett und sie funktioniert – mehr kann ich dazu nicht sagen. Die Meldung von wegen „gleich geht alles verloren“ beim Laden von Presets muß wirklich nicht jedes Mal aufpoppen. Wie stelle ich das dauerhaft ab (in der Desktop-Mac-Version geht es…)? Die Backups und User-Presets werden auf dem jeweiligen Gerät gespeichert – und nur da. Transfer zwischen iPhone, iPad und Mac: Fehlanzeige. Really? Für diese stark verbesserungswürdige App zwei Sterne ab in der Kategorie „Bedienung“. Ich korrigiere es jederzeit gern, sobald nachgebessert wird.
Beigepackte Software ist sowieso nicht die Stärke dieses Produkts. Es gibt da zwar noch einiges zum Download. Unter anderem Cubasis-irgendwas für iPad. Ich habe meinem iPad den Download gegönnt, Cubasis aktiviert; beides kann man sich sparen. Selbst das kostenlose GarageBand bietet deutlich mehr Möglichkeiten und Komfort als diese an allen Ecken und Kanten bewusst eingeschränkte, unintuitive Crippleware. Noch nicht einmal die Audio Units werden unterstützt. Weg damit. Die Mac-Version habe ich gar nicht erst probiert.
Zurück zum Guten: der Line-Out! Alleine der ist den Aufpreis zum 10-II wert, wenn es auch nichts anderes wäre. Einerseits ist so überhaupt möglich, die eigene Akrobatik aufzunehmen. Zweitens erspart man sich damit gleich mehrere Pedale: Comp/Sustain, Zerre, Gate. Na gut: Delay und Hall schalte ich lieber doch dahinter; die eingebauten sind zwar nett im „Außendienst“, im Heimstudio gibt es doch Besseres.
Hier kommen wir zu der Funktion, die ich doch vermisse: Einschleifen von Effekten. Ein Vorredner beschrieb hier zwar netterweise sein Vorgehen, Effekte einzuloopen. Entweder habe ich die Anleitung nicht verstanden oder ich mache grundsätzlich was falsch, denn egal, welches Pedal ich auf die Weise einbinde, als einzigen Effekt bekomme ich eine endlose positive Rückkopplung. Getestet u.a. mit Eventide H9, Strymon Nightsky, Strymon El Capistan, Meris Polymoon. Alles gleich: es dauert Sekunden und es pfeift Feedback.
Im Home-Studio ist es natürlich alles kein Problem, entweder gehe ich vom Amp ins pedalboard und von da weiter zum Mixer oder mach gleich Insert. Trotzdem wäre es nett, ein bisschen Strymon auch im kleinen Setup beizumengen. Aber man kann ja nicht alles haben.
Bleibt noch die beliebte Frage der Nutzbarkeit als reine Musikspieler-Box. Da kann ich nur Positives berichten. Jedenfalls bei Jazz, u.a. Klavier-Trio, aber auch mit Vocals, macht die Box eine überraschend gute Figur. Es liegt vielleicht daran, dass wir Musik sowieso immer auf „flat“ hören, ohne irgendwelche Höhen-Tiefen-Verdreher. Gerade als Schlafzimmer-Stimmungsmacher mit dem warmen Glimmern und dem auf den Dielenboden projizierten Muster… sieht aus wie ein alter Wärmestrahler – und in der Tat, da wird es einem gleich kuschelig warm, selbst wenn gerade keine Musik läuft. Meine Liebste mag es auch.