Im Vergleich zum TLM 103, das direkt durch seine Präsenzanhebung einen "Wow"-Effekt erzeugt, kommt das TLM 107 klanglich sehr nüchtern daher - um nicht zu sagen langweilig. Euphorie kommt zunächst einmal nicht auf, wenn man das Mikrofon anschließt (warum dies aber eine große Stärke sein kann, dazu später mehr!!). Es klingt erstmal in etwa so wie die Quelle klingt, wenn auch die leichte Absenkung bei 5KHz (in der Nierencharakteristik) beim genauen hinhören auffällt. Zischlaute werden dadurch subtil abgemildert, was in vielen Fällen bei Gesangsaufnahmen eher von Vorteil ist. In der Hyperniere gibt ist diese Absenkung nicht, möchte man ein noch lineareres Signal, kann man auf diese zurückgreifen (bei Gesangsaufnehmen wird in den meisten Räumen der Unterschied im Raumanteil zwischen Niere und Hyperniere vernachlässigbar sein.)
Apropos Richtcharakteristik: Ich habe wirklich noch nie ein Großmembran Mikrofon erlebt, dessen Richtcharakteristiken klanglich so konsistent beieinander sind. Das ist meines Erachtens die ganz große Stärke dieses Mikrofons. Bei den meisten Mikrofonen sind zwischen den Richtcharakteristiken doch sehr starke tonale Unterschiede zu vernehmen, oft klingt die Acht bei Doppelmembranmikrofonen in den Höhen recht verfärbt und ist daher nicht so vielseitig nutzbar. Nicht beim TLM 107 - hier klingen die verschiedenen Richtcharakteristiken so ähnlich, wie ich es bei noch keinem Mikrofon erlebt habe! Alle Richtcharakteristiken klingen absolut spitze.
Erreicht wird das laut Neumann durch die besondere Kapsel die dem Digitalmikrofon D-01 nachempfunden ist. Diese ist etwas kleiner als normale Großmembrankapseln und weist daher viele der guten Eigenschaften von Kleinmembranmikrofonen auf, wie eine sehr gute Impulstreue oder ein sehr gutes Off-Axis Verhalten. Dadurch ist das Mikrofon praktisch weder Großmembran noch Kleinmembranmikrofon sondern etwas dazwischen, auch wenn Neumann das Mikrofon als Großmembranmikrofon vermarktet.
Die Unaufgeregtheit und Nüchternheit zeigt ihre Große Stärken bei der Nachbearbeitung. Hier sind wirklich extreme Eingriff am EQ möglich, ohne dass das Signal auch nur Ansatzweise verbogen klingt. Das Signal lässt nachträglich also alle Möglichkeiten offen.
Letztendlich habe ich mich aber doch für das TLM 103 entschieden, da es direkt Plug-and-Play schon selbstbewusst und einfach "groß" klingt. Als Sänger gibt das einem direkt ein fantastisches Gefühl, man hat praktisch den Eindruck seine eigene Stimme mit einem "Vergrößerungsglas" zu hören und bekommt das Gefühl, die eigene Stimme sehr gut kontrollieren zu können. Nur ist man durch die Präsenzanhebung und durch den eindeutigen Eigencharakter des Mikrofons soundmäßig schon sehr festgelegt. Eine so starke nachträgliche Formung wie beim 107 gestaltet sich schwieriger. Zwar lässt sich die Präsenzanhebung beim 103 auch relativ unauffällig mit dem EQ wieder herausnehmen, trotzdem würde ich bei Sängern mit spitzen Stimmen oder prägnanten Zischlauten prinzipiell eher zum 107 raten. Auch bei klassischen Instrumenten macht das 107 sicherlich eine hervorragende Figur, da sich hier die Nüchternheit und die Konsistenz in den Richtcharakteristiken besonders positiv hervortut.