Um die Antwort vorweg zu nehmen: JA! - aber nun der Reihe nach
Warum:
Ich habe mir die kleine Kiste bestellt, weil mir ein TS oder TS Clone (diesen Vergleich muss sich der Harley Benton Vintage Overdrive gefallen lassen) noch fehlt und ich ihn einfach ausprobieren wollte ohne gleich das Dreifache für das Original auszugeben. Und ich habe im Vorfeld einige Tests und Reviews gelesen und auf YT angesehen, die mich bei der Kaufentscheidung für den HB/Joyo Vintage Overdrive bestärkt haben. Ich denke, damit handle ich wie sehr viele andere auch.
Außerdem habe ich einen alten Fender Twin Reverb II und was passt zu einem Fender Röhrenverstärker wohl besser, als ein TS oder Vintage Overdrive? Eben!
Versand/Verpackung:
Thomann hat schnell und gut verpackt geliefert, vielen Dank dafür.
Äußeres:
Nachdem ich den HB Vintage Overdrive aus seiner Box genommen habe ist mir ein leichtes Klappern des Fußtasters aufgefallen, der aber im Betrieb keine Auswirkung hat. Die Verarbeitung ist gut und das Gerät ist stabil aus Metall gefertigt. Die Knöpfe lassen sich gut drehen und bieten ein wenig Widerstand, was auch gut ist, da man sie somit beim "Drauftreten" nicht so einfach verstellen kann. Alles ist gut und leserlich beschriftet.
Und es ist grün, grün, grün, wie sollte es auch anders ein. Einen schönen Kontrast bieten die gelben Potis, die den Vintage Eindruck auch optisch unterstützen. Die Unterseite ist gummiert aber nicht wirklich rutschfest, aber man muss nicht die gesamte Platte abschrauben um an das Batteriefach zu gelangen, das ist mit einer Plastikklappe verschlossen und schnell und einfach zu öffnen. Keine Mängel - sehr erfreulich!
Inneres:
Da ich von Schaltungen, Platinen, Widerständen und Kondensatoren keine Ahnung habe, beläuft sich die Sichtung des Inneren auf die Öffnung und Kontrolle des Batteriefachs, das eine 9V Blockbatterie aufnehmen kann. Den Batteriebetrieb habe ich nicht getestet, da ich eine externe Stromversorgung nutze. Soweit zum Inneren - keine Beanstandung.
Sound:
Es ist ein grünes Pedal nach Vorbild der grünen Pedale! Welches es jetzt genau versucht zu sein (8, 9, 808?), keine Ahnung. Manche mögen es, manche lieben es, manche mögen es nicht ... es hat die typische nasale Klangfärbung und die Mittenanhebung. Volltreffer für jeden, der das sucht!
Meine Erfahrungen:
Voller Vorfreude habe ich also die Röhren des Amps vorgewärmt, den Vintage Overdrive angeschlossen, alle Regler auf 12 Uhr, die Strat angestöpselt und los ging's. Der Amp ist clean eingestellt - und er bleibt clean, clean, clean und wird nur laut, laut, laut, Clipping ist nicht ohne Hörschaden zu erzeugen.
Und hier folgte erst mal eine Enttäuschung, irgendwie klangen die Testaufnahmen der Reviews anders, ganz anders. Habe trotzdem sämtlich Einstellungen getestet, von moderat bis extrem, von Boost zu "Fullgain", den Toneregler strapaziert - irgendwie war mir das Ergebnis immer zu mulmig zu undefiniert, selbst mit komplett nach rechts gedrehtem Tone Poti und Bridge SC der Strat.
Mit der 1983er Gibson SG mit Humbuckern war es gar noch heftiger, da kam der Klang fast saftig fett und triefend vor lauter Undefiniertheit aus dem Amp. Über die Regelung des Volumeknopfs an der Gitarre hat sich der Sound etwas aufgeklart und ausgedünnt, also das gleich nochmal mit der Strat - schon besser, aber immer noch so, als würde man mit vollem Mund sprechen. Nicht das was ich erwartet habe. Der tonale Eingriff ist einfach zu krass für meinen Geschmack und erzeugt einen zu starken nasalen Ton und "Mittenhönk".
Ich habe nach zwei Stunden herumprobieren den Vintage Overdrive wieder abgestöpselt und zur Seite gelegt und wieder auf mein ursprüngliches Overdrive zurückgegriffen, das deutlich neutraler ist und dem Originalton nicht so viel "Fremdsound" aufdrückt. Ok, man sagt dem TS ja nach, dass sein Klang polarisieren kann. Daher gehöre ich wohl zu der Seite, die den Sound nicht so mag.
Aber da mein Amp mit 100 Watt Röhrenpower ausgestattet ist und ich eh nach einer "ruhigeren" Variante Ausschau halte, werde ich den HB Overdrive behalten und ihn mit einem anderen Amp testen.
Zu meiner Schande muss ich aber nun gestehen, dass ich einen Fehler gemacht habe, unbewusst, aber das hat sich stark auf den Sound des Vintage Overdrive ausgewirkt. Mein Amp hat - nicht wie bei Fender üblich - kein ausgesprochenen Mid-Scoop sondern ist eigentlich ziemlich neutral. Das habe ich leider nicht bedacht und die EQ am Amp mit erhöhtem Mittenregler stehen lassen, die den unteren Mittenbereich stark basslastig macht. Daraufhin habe ich die EQ Regler gleichmäßig eingestellt und den Vintage Overdrive als Cleanboost davor geschaltet und jetzt strahlt der Sound und ich!
Was soll ich sagen - es geht! Der Klang wird wunderbar angedickt und die Röhren genau von clean an einen Bereich gepushed, der ganz knapp vor der ersten leichten Verzerrung liegt. Wenn ich den Gainregler des Vintage Overdrive nun hochdrehe wird Mitte und Hönk addiert und natürlich ein wenig Kompression, aber noch besser ist es, wenn ich meine beiden Overdrive Pedale kaskadiere.
Den Vintage Overdrive zum Andicken und pushen und den anderen Overdrive für die süße Verzerrung. Ideale Kombination!
Ergo, für die leichte Vintage Zerre nutze ich ein anderes Pedal, aber dann einen traumhaften, durchsetzungfähigen bluesigen Punch zu bekommen, schalte ich den Vintage Overdrive dazu - als Boost.
Sonstiges/Anmerkungen:
Was ich gelernt habe: auch wenn einem das Pedal nicht auf Anhieb gefallen sollte, behalte es! Es gibt bestimmt eine Möglichkeit wie und wo das Pedal seinen Einsatz findet.
Fazit:
Ich werde mir (so schnell) keinen Original TS zulegen, weil der Harley Benton Vintage Overdrive doch am Ende das bietet, was ich nun gerne nutze! Die kleine grün-gelbe Kiste bleibt also auch vorerst auf dem Pedalboard.
Eine gute Lösung und Alternative für jemanden wie mich, der immer wieder gerne etwas ausprobiert, Neues lernt, ungern etwas zurückschickt und nicht immer gleich tief in die Tasche greifen mag.
Mit anderen Worten: Für mich hervorragend gelöst - Daumen hoch für Harley Benton!