Fazit vorab: Auch Digital-Skeptiker sollten dem Kemper mal eine Chance geben. Die wenigsten werden ihn danach wieder hergeben wollen...
Bin eigentlich eher Röhren-Purist, wollte das Teil trotzdem seit Jahren wenigstens mal ausprobieren. Jetzt ist es endlich soweit und ich ärgere mich, dass ich mir das solange habe entgehen lassen. Ohne Einschränkungen das Beste, was ich mir im Bereich Gitarre jemals gekauft habe!
Der Sound ist über jeden Zweifel erhaben, bzw. ich kann mir nicht vorstellen, dass man nach etwas Einarbeitung irgendeinen Sound nicht nachgebildet bekommt. Für den Grundsound einfach einen der Amps der Presets einstellen (die ich nach etwas spielen am EQ gar nicht so schlecht finde, wie manchmal behauptet wird) oder kostenlos aus dem Internet holen (spätestens da wird man fündig), evtl. noch ein paar der bereits eingebauten Effekte dazu einstellen und fertig. Von amtlichem Black Sabbath Sound, über Dire Straits, Led Zeppelin, Iron Maiden, Slayer, was auch immer bis hin zu abgedrehten Sachen wie Hendrix' "Star spangled banner" ist alles drin (hätte nicht gedacht, dass man auch das Fuzz Face mit seinen eigensinnigen Reaktionen auf den Volume-Regler der Gitarre digital so original nachbilden kann). Auch die Auswahl und Qualität der Wahwah-Effekte ist unglaublich. Um diese zu nutzen reicht es irgendein Volume-Pedal mit Expression-Ausgang anzuschließen.
Die eigentliche Kernfunktionalität, das Profilen bzw. "Kopieren" von "echten" Amps habe ich noch gar nicht ausprobiert. Die Profile meiner eigenen Lieblingsamps habe ich mir aus dem Internet geholt. Der auf der Kemper-Seite auf einem PC/Mac herunterladbare "Rig Manager" findet zur Zeit fast 17.000 kostenlose Amp-Profile, die kann man einfach per Drag-and-Drop in den über USB angeschlossenen Kemper übertragen. Für ein paar ganz spezielle Sachen (z.B. Boston "Don't look back"-Sound) habe ich auch schon ein paar Dollar für den Download bezahlt. Meine Röhren-Amps habe ich seit ich den Kemper habe nicht mehr eingeschaltet.
Ich habe mich für das Rack-Modell mit eingebauter Endstufe entschieden. Das wiegt kaum mehr als die Variante ohne Endstufe und eine ordentliche externe Endstufe gibt es ja auch nicht umsonst. So kann man dann auch gleich nach dem Auspacken mit einer Gitarren-Box loslegen. Die Profile simulieren größtenteils den Sound wie er vom Mikrofon vor einer Gitarrenbox erfasst wurde, eignet sich also für Full-Range-Lautsprecher, P.A., Stereoanlage usw. Verwendet man eine Gitarrenbox, kann man einen Algorithmus aktivieren, der Box und Mikrofon wieder "wegrechnet" und hat damit ein brauchbares Signal für die Gitarrenbox, die am Ausgang der Endstufe hängt. An den Main-Outputs hat man immer noch das volle Signal mit Simulation von Box+Mikrofon, kann also auch gleichzeitig über Gitarrenbox und z.B. Fullrange-Aktivlautsprecher spielen, das klingt dann auch zu Hause (bei unempfindlichen Nachbarn) wie auf der Konzert-Bühne, wo man ja auch Gitarrenbox+P.A. hört.
Klar färbt die jeweilige Gitarrenbox das Signal, das kann dann schlechter aber auch besser sein als das Original-Profil und mit bisschen EQ-trimmen findet man i.d.R. auch immer einen guten Sound. Ich benutze dazu eine ENGL 2x12 VH Pro und bin vom Zusammenspiel mit dem Kemper total begeistert.
Wenn man eine gute Stereoanlage hat, kann man diese auch gut zum Üben und Sound-Tüfteln verwenden. Es gibt dann noch einen "General"-Equalizer, mit den man dann den kompletten Sound noch an das jeweilig benutzte Ausgabemedium anpassen kann.
Mit Band zusammen bzw. Live habe ich den Kemper noch nicht ausprobiert (ist in Corona-Zeiten ja nicht so einfach). Aber was mittlerweile bei Kreator, Deep Purple, Judas Priest, Pat Metheny, Wishbone Ash, Saxon oder sogar Napalm Death eingesetzt wird, sollte eine Amateur-Band auch zufriedenstellen können...
Immer wenn mir noch eine Funktion einfällt, die ich mir noch gewünscht hätte, finde ich sie dann doch noch irgendwo versteckt (z.B. schönere grafische Darstellung für den Tuner oder einfache Backup-Möglichkeiten des gesamten Setups). Versteckt ist aber nicht negativ gemeint. Bei so vielen Möglichkeiten und Funktionen liegt es auf der Hand, dass man sich manchmal durch ein paar Menüs und Untermenüs hangeln muss. Die wichtigsten Sachen (z.B. Tone-Regler für den Amp) gibt es aber auch intuitiv auf den ersten Blick direkt auf der Frontseite.
Einzig die Plastik-Drehregler wirken etwas billig und sehen nicht so robust aus. Aber es ist gut dort zu sparen, wo es nicht so wichtig ist und zu Konzerten kommt das Teil sowieso in ein Rack-Case.
Das war jetzt sehr viel Text, ist den unzähligen Möglichkeiten aber immer noch nicht angemessen. Ich werde jetzt wahrscheinlich erstmal ein paar Jahre beschäftigt sein, mit dem Kemper Sounds auszuprobieren.