Auf der Suche nach einem geschlossenen Kopfhörer, der bei Aufnahmen eine bessere Figur macht als mein Audio Technica ATH-MSR7, stieß ich auf den viel gelobten Hi-X55 von Austrian Audio. In einer idealen Welt hätte er mir eine bessere Isolation (sprich: weniger Bleeding bei mikrofonierten Aufnahmen) und zugleich an irgendeiner Front einen gewissen klanglichen Zugewinn geboten, der den höheren Preis rechtfertigt. Leider wurde ich an beiden Fronten enttäuscht und tue mich schwer, die begeisterten Kritiken nachzuvollziehen. Beim ersten Aufsetzen war ich gar so irritiert vom Sound, dass ich überprüft habe, ob das Kabel überhaupt richtig verbunden ist.
Für diejenigen, die keine genauere Analyse lesen möchten, hier vorweg die wichtigsten Pros und Cons, die mir aufgefallen sind.
Pro:
• hoher Tragekomfort
• robuste Verarbeitung
• breite Stereobühne
• hohe Detailtreue (zumindest in den Höhen)
Contra:
• sehr dünne, blutleere Klangabstimmung
• penetranter Resonanzbereich in den Mitten
• unnatürlich entfernter Klangeindruck
• mäßige Isolation
• kein kurzes Kabel für unterwegs; proprietäre Kabellösung
Wie aus der Liste ersichtlich wird, geht beim Hi-X55 im Prinzip alles in Ordnung, was nicht unmittelbar mit dem Sound zu tun hat. Haken wir das also einmal schnell ab: Die Kopfhörer wirken robust und hochwertig verarbeitet und warten mit einem angenehm unaufdringlichen Design auf. Sie sind überaus bequem, auch mit Brille und bei längerem Tragen (zumindest bei mir, aber jeder Kopf ist anders). Das ist gerade für geschlossene Kopfhörer keine Selbstverständlichkeit. Ähnlich wie beim bereits erwähnten ATH-MSR7 geht zwar in Kombination mit einer Brille ein wenig Tiefbass verloren, was allerdings beim ohnehin verschwindend geringen Bass des Hi-X55 kaum noch ins Gewicht fällt. Nachteilig ist indes, dass dieser Hörer einem kleinste Kopfbewegungen übelnimmt und sich zudem nicht gut in Rückenlage verwenden lässt, da er dann schlicht abrutscht.
Was die Isolation angeht, ergibt ein A/B-Vergleich mit dem MSR7 (mikrofonierte Aufnahme bei gleichem Ausgangspegel beider Kopfhörer) ein praktisch identisches Bleeding-Niveau. Die spektrale Verteilung ist insofern anders, als der Hi-X55 etwas weniger hochfrequente Transienten durchlässt, was ein geringfügiger Vorteil sein kann. Nach meiner Erfahrung isoliert der MSR7 (und damit wohl auch der Hi-X55) merklich schlechter als etwa der Studiostandard DT-770 von Beyerdynamic oder der sehr ähnliche SoundMagic HP150. Wem also Isolation wichtig ist – sei es für Aufnahmen oder den Einsatz unterwegs –, der sollte sich anderweitig umsehen. Ein mobiler Einsatz bietet sich auch wegen der Länge des mitgelieferten Kabels erst mal nicht an, und aufgrund des proprietären Drehverschlusses lässt sich das Kabel auch nicht beliebig ersetzen.
Nun zum Wichtigsten, dem Sound. Was Tieftonwiedergabe angeht, haben die Hi-X55 den dünnsten Sound, den ich je bei halbwegs soliden Kopfhörern gehört habe. Am ehesten vergleichen lassen sie sich wohl mit dem AKG K701, wobei diese Assoziation meinerseits auf einem Höreindruck vor x Jahren basiert und insofern mit Vorsicht zu genießen ist. Wir sprechen jedenfalls über einen außerordentlich hell abgestimmten Kopfhörer, der vermeintlich am ehesten Jazz- und Klassik-Fans ansprechen könnte, wobei ich es für einen seltsamen Mythos halte, dass es in diesen Genres irgendwie von Vorteil wäre, dem Sound das ganze Blut abzusaugen. Alle, deren persönlicher Geschmack nicht klar zu kristallinen Höhen und sehr dezenten Tiefen tendiert, sind hier schlecht beraten. In einer Zeit, in der ohnehin in vielen Genres von Jazz über Singer-Songwriter bis Death Metal eher tiefmittenarm produziert wird, ist eine solche Abstimmung m. E. eine ungeschickte Designentscheidung, die nur eine sehr kleine Zielgruppe ansprechen dürfte. Aufgeräumte Mitten sind schön und gut, nimmt man aber zu viel davon weg, fehlt der Musik jedweder Punch. So werden z. B. Gitarren-Powerchords oder Männerstimmen gleichermaßen zu kraftlosen, unbefriedigenden Babyfürzen. Jedes Mal, wenn ich zu anderen Hörern zurückwechselte (MSR7, Sennheiser HD-650, Beyerdynamic DT-880), ging im Vergleich dazu die Sonne auf. Spurenelemente von Tiefbass wiederum muss man schon mit der akustischen Lupe suchen, was für ein geschlossenes Modell untypisch, aber je nach Genrevorlieben weniger tragisch ist, wenn man nicht gerade elektronische Musik hören will.
Interessanterweise findet sich in vielen Reviews die Beobachtung, die Mitten seien überrepräsentiert, was ich zunächst überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Schließlich fiel mir aber auf, dass tatsächlich ein schmalbandiger Bereich in den Mitten überproportional starke, blecherne Resonanzen erzeugt. Besonders frappierend fand ich das bei Klavierläufen, bei denen mich die wenigen Töne, die in diesen Bereich fallen, unnatürlich dröhnend ansprangen. Es steht zu befürchten, dass dieser Peak auch viele jener Hörer*innen irritieren dürfte, die eine luftigere Abstimmung grundsätzlich mögen.
Luftig ist ein gutes Stichwort: Wenn der viel diskutierte Beyer-Peak ein rebellierender Teenie ist, sind die Höhen des Hi-X55 ein ausgewachsener Militärputsch. Die damit einhergehende Sibilanz fällt durch das fehlende Gegengewicht in den Tiefen umso mehr auf. Im Direktvergleich klingen die ach-so-dünnen und spitzen DT-880 fast schon nach bedecktem Mittenmatsch. Von dieser betonten Brillanz profitieren indes Räumlichkeit und Detailtreue in den Höhen. Doch ebenjene beiden Aspekte bringen wieder ihre eigenen Probleme mit sich.
Die Stereobühne ist für geschlossene Kopfhörer auffallend breit und bietet eine gute Ortbarkeit. Dabei hatte ich jedoch ständig das Gefühl, dass die Stereomitte fehlt, so als würden die beiden Kanäle künstlich separiert oder seien nicht ganz synchron. Die Auflösung wiederum akzentuiert Details wie Hallfahnen in einem Maße, das mir so noch nicht untergekommen ist. Dadurch wird der Raumeindruck auf eine Art verstärkt, die Klänge in die Ferne rückt. Zusammen mit den unausgewogenen, dünnen Mitten trägt all das zu einem entfernten Gesamteindruck bei, sodass genreunabhängig einfach kein Funke überspringen will. Mehr noch: Das Gehör erhält widersprüchliche Informationen, da präsente Höhen physikalisch mit Klangquellen in nächster Nähe zusammenhängen, hier aber auf unnatürliche Weise mit Distanz verknüpft werden. Kurzum: Es will kein kohärentes Klangbild entstehen.
Der Hi-X55 ist zweifelsohne ein hochwertiges Qualitätsprodukt. Aber wer ist die Zielgruppe? Wer einen geschlossenen Kopfhörer mit solider Auflösung und Räumlichkeit für den privaten Gebrauch sucht, findet für weniger Geld deutlich ausgewogenere Produkte (mein persönlicher Tipp: In der Preisklasse bis 200 Euro spielt der ATH-MSR7 nach meiner Erfahrung selbst offene Konkurrenzmodelle locker gegen die Wand). Für den mobilen Gebrauch oder für Recording ist das Modell aus den genannten Gründen auch nur mäßig geeignet. Und für Mixing und Mastering ist wiederum der Sound zu unnatürlich und allenfalls für Detailarbeiten hilfreich. Nichtsdestotrotz werden bestimmt einige dieses Teil lieben und sich womöglich schon lange nach einem solchen Sound gesehnt zu haben. Doch ich kann vor einer Kaufentscheidung wirklich nur zu gesunder Skepsis gegenüber den Lobeshymnen aufrufen.