Zusammenfassung: Der aus hochwertigen Materialien gebaute Mini-Bass hat einige Schwächen in der Verarbeitung, belohnt meine Nachsicht allerdings mit endlosem Spielspaß. Er klingt tatsächlich Kontrabass-ähnlich. Die vier werkseitig aufgezogenen Polymer-Saiten unterscheiden sich etwas in Klangfarbe und Systainverhalten.
Nach fast dreiwöchiger Wartezeit ist der heißersehnte ME-Bass/Fretless endlich angekommen! Zum Glück haben Paket und Inhalt bei der Liefer-Odyssee keinen Schaden genommen.
Allerdings war erstmal kein Ton aus dem Instrument herauszubekommen – die Batterie, die die aktive Elektronik benötigt, hatte keine Spannung mehr. Um an das Batteriefach heranzukommen, müssen vier kleine Kreuzschlitzschrauben gelöst werden, die sehr fest angezogen waren. Mit den kleinen Schraubendrehern für die Winzlinge ist soviel Krafteinsatz keine einfache Aufgabe. Es brauchte viel Geduld und Vorsicht, was mir glücklicherweise gelungen ist, ohne einen Schraubenkopf zu ruinieren.
Meiner Meinung nach ist das eine nicht wirklich zumutbare Hürde, bevor der erste Ton erklingen kann. Da das Instrument außerdem einige kleine Macken hat und die Schutzfolien auf den Verkleidungen der Elektronikfächer recht abgegriffen sind, vermute ich, dass es entweder schon einige Male versendet wurde oder schon mal Vorführmodell gewesen ist.
Abgesehen davon macht der Bass erstmal einen sehr hochwertigen Eindruck, die Mahagoni-Oberflächen von Body und Halsrückseite sowie das Walnuss-Griffbrett fühlen sich sehr gut an.
Bei näherem Hinsehen gibt es leider ein paar Schwächen in der Verarbeitung: Die Verschraubung von Hals und Body sitzt nicht ganz richtig; an der Unterseite des Halses steht der Body einen gut sichtbaren halben Millimeter vor; an der Oberseite passt ein Fingernagel zwischen Body und Hals. Die Saiten sind recht unterschiedlich aufgezogen: am Wirbel für die E-Saite gibt es nicht einmal eine vollständige Wicklung. Die Wirbelmechanik lässt außerdem zwischen Anziehen und Nachlassen recht viel Spiel. Auf youtube berichten Käufer über Probleme beim Aufziehen von anderen Saiten, weil die Ball-Ends, also die Knubbel, die die Saiten am Steg verankern sollen, durch die zu weit gefassten Widerlager rutschen. Nach einem Support-Gespräch mit dem Hersteller konnte das Problem mit einer Keramikperle und einer Unterlegscheibe gelöst werden.
Wenn ich über diese Probleme großzügig hinwegsehe, habe ich viel Spaß dem dem kleinen Bass. Durch die kleinen Abstände der Griffpositionen ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, die auf Longscale-Bässen nicht funktionieren würden. Und vor allem der Sound ist wirklich überraschend wuchtig!
Bei näherem Hinhören fällt auf, dass die vier Saiten etwas unterschiedlich klingen: Die A-Seite macht am meisten MWah – also das fretless-typische Surren. Die D-Seite etwas weniger; die G- und die E-Saite klingen im Vergleich etwas matter und haben außerdem weniger Sustain. Über die G-Saite rutschen die Finger ohne Widerstand; mit zunehmender Dicke werden die Saiten "klebriger", woran ich mich erstmal gewöhnen musste. Da ich keine Erfahrung mit Polymer-Saiten habe, weiß ich nicht, ob diese Unterschiede dem Material und der Saitendicke geschuldet sind. Früher oder später werden ich auf jeden Fall umwickelte Nylon-Saiten ausprobieren (wobei ich vermute, dass das nicht nur wegen des Ball-End-Problems ein größerer Akt sein wird, weil aufgrund der wesentlich geringeren Saitendicke vermutlich die Brücke abgesenkt werden muss, um den Abstand der Saiten vom Griffbrett nicht zu erhöhen.)
Die Brücke macht übrigens einen sehr hochwertigen Eindruck; sie ist aus Metall und ist vermutlich der Grund, warum der Bass nicht nur mit Polymer-Saiten funktioniert. (Der California U-Bass von Kala hat ja eine Holzbrücke und kann nur mit Polymer-Saiten gespielt werden.)
Etwas überrascht hat mich der Halsumfang, der höchstens unwesentlich geringer ist als der meines Longscale-Basses von Ibanez (tatsächlich messe ich am ersten Bund beider Bässe 11,5 cm). Dadurch macht der Kleine einen durchaus wuchtigen Eindruck. Für Erwachsene kommt dieser Umstand der Spielbarkeit entgegen; für Kinder, und das ist der erste unschlagbare Vorteil des Gold Tone, ist er wirklich optimal. Auf Reisen mit leichtem Gepäck merkt man sofort das zweite Alleinstellungsmerkmal des Gold Tone: Mit 23 Zoll-Mensur ist der Bass wirklich deutlich kleiner als ein Standard-Short-Scale mit 30 Zoll.
Für mich als Fretless-Anfänger sind die Bundstriche auf dem Griffbrett eine sehr nützliche Hilfe, die mir schnell ermöglicht haben, mich zurecht zu finden, und "hörbare" Ergebnisse zu bekommen. In den höheren Lagen fällt es mir allerdings noch recht schwer, den richtigen Ton zu treffen. So glücklich ich darüber bin, dass die Bundstriche trotz kurzem Griffbrett 24 Positionen ausweisen – da oben werden die Abstände echt sehr klein. Aber hey, es gibt ja auch Leute, die schaffen es Geige zu spielen ;-) das müsste also mit etwas Übung schon funktionieren.
Die aktive Elektronik ermöglicht auch bei diesem Instrument, die Lautstärke ohne Klangeinbußen zu reduzieren sowie Höhen und Bässe getrennt zu regeln. Bei voll aufgedrehten Höhen wird das Gleiten der Finger auf den Saiten sehr laut; dieser "Effekt" verschwindet allerdings sehr schnell, sobald ich die Höhen etwas zurückdrehe.
Trotz der kleinen Schwächen in der Verarbeitung bereue ich den Kauf überhaupt nicht. Der ME Fretless ist keineswegs ein Spielzeug, sondern ein Instrument mit tollem Sound und aus hochwertigen Materialien – auf Reisen ohnehin unverzichtbar.