Mit 60+ und jahrzehntelangem überwiegend akustischem Gitarrenspiel wollte ich nochmals eine musikalische Herausforderung. Ich wollte einen fretless Bass, aber ein Musikinstrument und keine Axt, die mir Ohren, Sehnenscheide und Wirbelsäule kaputt macht. Etwas mit Seele halt, mit feinem Ton, feiner Ansprache und ganz viel Akustik-Sound sowie Holz, dunklem, edlem Holz!
Dank Internet, Testberichten, Demovideos/Soundfiles und vor allem Usermeinungen hier und anderswo (vor allem USA) kam ich auf diesen halb-akustischen Zwitter, dem man die Gräten gezogen und somit in die Bassisten-Nische gestellt hat.
Ich bereue den „Blindkauf“ ohne Antesten keine Sekunde.
Hier die Gründe:
*Direkt aus dem Karton einsatzbereit, gutes bis sehr gutes Setup mit Marken-Flatwounds
*Aus optischen/klanglichen Gründen ersetzt durch schwarze Nylon Tapewounds, ETB92, 50-105
*Halsstab war sehr sehr stramm eingestellt und hat jetzt einen „slight bow“ (0,3-0,4 mm)
*Saitenlage kann (wie bei fretless üblich) sehr weit runter, „Sweetspot“ findet sich aber bei allen Saiten doch etwas höher und dann „singt“ und „mwaht“ alles, der ganze Body macht mit
*“Unplugged“ ist der Sound rein, fein und auch da singend, nicht laut, aber hör- und spürbar, zum nächtlichen Üben und vor allem zur Feinintonation mit den Stellschrauben der Brücke besser als über Amp
*Piezo ist unter der Brücke versteckt, löst sehr differenziert auf und gibt sehr viel natürlichen Akustikklang an den Amp weiter
*Mit jeder Stellschraube bin ich schon per Du. Wer befestigt bitteschön die aus edlem dunklem Holz geschaffene Abdeckung des Halsstabes mit zwei längeren und einer kürzeren Schraube?
Da hat sich jemand was gedacht bis in die letzte Ecke. Doch kein Massenprodukt von der Stange? Der Gedanke kommt auf.
Dieses Instrument spielt sich wie Butter und es weiß ganz genau, was Dynamik in der Musik bedeutet und dass es dafür geschaffen wurde. Der Sound ist warm, dem eines Kontrabasses sehr ähnlich, jedoch nicht trocken und träge, dafür spritzig und punktgenau, mit sehr viel Sustain!
Es ist etwas für lyrisches Spiel; aufgelöste Akkorde auch in höheren Lagen klingen glasklar, Fingerstyle und kurze Fingernägel sind Pflicht.
Wo Licht ist, ist auch Schatten, aber der hält sich in Grenzen:
*F-Loch, wie auch schon von anderen beschrieben, mit groben, fast scharfen Kanten, an denen man schon mit dem Ärmel eines Pullovers hängen bleiben kann (mit Kosmetik-Nagelfeile behoben)
*Poti-Deckel sehen aus wie „Fingerhüte, die zuvor in einen Latte macchiato gefallen sind", einer macht auf „Schiefen Turm von Pisa“ (wurde auch schon beschrieben) und der Abstand zur wunderschönen Fichtendecke ist so groß, dass man die Kontermuttern darunter sehen kann.
Sowohl spieltechnisch/haptische als auch optische Abhilfe findet sich für ein kleines Geld passgenau bei den (schraubbaren) Göldo Domes in schwarz ;). Dann stimmt es auch mit dem Abstand zur Decke und der Gesamtoptik.
*Die weißen Inlays sind zusammen mit den hierzu versetzten weißen Punkten auf der Oberkante und den Fretlines eine geistige Herausforderung für jeden Fretless-Newbie. „Entweder oder“ und so habe ich mit schwarzem Permanent-Marker die weißen Dots auf dem Griffbrett unsichtbar gemacht und "al punto" geschwärzt. Jetzt orientiere ich mich an den „schwarzen Fretlines auf dunklem Grund“ und den weißen kleinen Orientierungspunkten an der Halsoberseite. Die sind sich nämlich einig, machen Sinn und verwirren nicht unnötig.
*Die Brücke ist eine Zumutung, aber echt. Um die Schlitten mit der Saitenauflage vor oder zurück zu bewegen (letzter Akt beim Setup) musste ich jede Saite komplett „unterheben“. Die Dinger bewegen sich freiwillig höchstens nach rechts, Richtung Bridge, aber nicht in die andere Richtung. Ständiges "runter-und-rauf-Stimmen" ist keine Option (mein bundierter Zweitbass hat mit seiner Babicz-Brücke die Messlatte deutlich höher liegen)
*Obwohl ohne EQ hat das Teil einen 9V-Block im separaten Fach auf der Rückseite. Ohne Batterie geht nichts und sie ist auch ziemlich schnell leer, wenn man in Spielpausen oder über Nacht das Kabel stecken lässt.
*Der Kontakt zwischen Batterie und Anschluss im Batteriefach ist „Schnee von gestern“, da macht es HB mit seiner Progressiv-Serie deutlich besser (Deckel auf, alte einhändig abstecken, neue einhändig einstecken, Deckel wieder zu. So geht Batteriewechsel).
Fazit: Dieses Instrument ist für den Umsteiger und Horizonterweiterer aus der primär akustischen Gitarrenwelt eine Bereicherung und Herausforderung zugleich. Es ist sowohl optisch als auch klanglich traumhaft und hat einen erkennbaren Touch von „Boutique“, "una bella", auch wenn sie/es aus einer Fabrik in Indonesien stammt, in der bekanntlich viele viele andere und teurere Bässe hergestellt werden. Die "Luthiers" dort haben bestimmt mehr Erfahrung als anderswo.
Absolute Kaufempfehlung für Gitarristen und Bassisten, die es ruhiger und emotionaler angehen wollen. Für Rock und Heavy IMHO zu fein, zu leicht, fast schon zerbrechlich und Slappen muss man das Teil auch nicht.