Der typische Klang eines Röhrenverstärkers, der sich über Jahrzehnte etabliert hat und den man als Hörer und erst recht als Gitarrist kennt, prägt auch die Erwartung, die man an einen Gitarrenverstärker stellt. Klar, dass man unter diesen Umständen eine gewisse Skepsis gegenüber Gerätschaften hegt, in denen keine Glaskolben glühen.
Aber es ist nicht nur der Klang, der dabei eine wesentliche Rolle spielt, sondern auch das Spielgefühl und die Interaktion zwischen Verstärker, Gitarre und Spieler. Bei guten Röhrenamps mit angezerrtem Sound lässt sich beispielsweise der Grad der Verzerrung sehr angenehm über die Stärke des Anschlags regeln – die Macht über den gewaltigen Ton liegt buchstäblich in der Hand. Dabei reagiert ein guter Röhrenverstärker auch auf Nuancen der Saitenbehandlung, die er sehr hochauflösend überträgt.
Die meisten Transistoramps der 1970er und 1980er Jahre konnten mit diesen Eigenschaften bei Weitem nicht mithalten. Durch die digitale Technologie wurde es aber möglich, den Sound und das Reaktionsverhalten von Gitarrenverstärkern und Lautsprecherboxen komplett in digitaler Form mithilfe sogenannter Algorithmen nachzubilden. Ein Algorithmus ist nichts anderes als eine präzise Anweisung, wie eine Aufgabe ausgeführt werden muss – in unserem Fall schreibt ein Algorithmus dem Prozessor vor, wie er agieren muss, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen. Diese Algorithmen sind deshalb auch das eigentliche Herz eines Modeling-Amps, und je schneller die Prozessoren arbeiten und je feiner die Wandler das Audiosignal auflösen, desto authentischer ist das Ergebnis. Die im Fachjargon mit AD/DA-Wandler bezeichneten Eingangs- und Ausgangsschaltkreise wandeln das analoge Gitarrensignal in ein digitales um (AD), damit es vom Prozessor bearbeitet werden kann. Das Ergebnis wird anschließend aus der digitalen Welt wieder als analoges Audio-Signal entlassen (DA) und an den Ausgang geschickt.
Ein Vorläufer der digitalen Amp-Modeler, die ab Mitte der 1990er Jahre auf den Markt kamen, war der SansAmp der New Yorker Firma Tech 21, der bereits 1989 mit analogen Schaltkreisen den Sound unterschiedlicher Verstärkertypen nachbildete.
Später war es dann der japanische Hersteller Boss, der mit dem GP-100 und dem ersten Virtual Guitar System (VG-8) schon früh einige sehr interessante Gerätschaften am Start hatte. Aber den ersten echten Klassiker lieferte das damals noch recht junge Unternehmen Line 6, das 1998 der staunenden Fachwelt den POD präsentierte – markant durch die rote Bohnenform.
Der POD hatte 16 digitale Nachbildungen von klassischen Röhrenamps (Amp Models) inklusive ihrer dazugehörigen Lautsprecherboxen an Bord. Was man mit dem POD konnte, nämlich die Gitarre einstecken und ihn direkt an ein Mischpult anschließen, war damals in der Röhrenwelt nur mit einer aufwendigen Signalkette und hoher Lautstärke realisierbar. Nun ging das Aufnehmen ganz einfach, schnell und leise, und 16 Amps inklusive Boxen und Effekte passten in den Rucksack. Für die damalige Zeit war der Klang des POD und seiner verbesserten Nachfolger so gut, dass sie über eine lange Zeit trotz aller Anstrengungen der Konkurrenz als "State Of the Art" in Sachen Amp-Modeling galten. Bis zum Jahr 2012, als mit dem Kemper Profiler ein echter Game Changer auf den Markt kam.
Das deutsche Unternehmen hatte einen digitalen Verstärker entwickelt, bei dem der User selbst sogenannte Profile eines Röhrenamps erstellen konnte. Dabei analysiert der Profiler einen realen Amp mithilfe akustischer Testsignale und erstellt ein digitales Profil des Sounds, das dem Original nicht nur verblüffend ähnlich ist, sondern auch vom Spielgefühl her der Reaktionsweise eines Röhrenamps sehr nahe kommt. Das so entstandene Profil ist kein unveränderbares Sample, sondern kann ganz normal in Sachen Zerrgrad eingestellt, per Equalizer abgestimmt und mit einer großen Zahl an integrierten Effekten an den persönlichen Geschmack angepasst werden. Eine Technologie, die seitdem viele Profis überzeugt hat, ihre vertrauten Ampsounds auch ohne große Schlepperei und Transportkosten bei sich zu haben.
Dabei ist das eigene Erstellen von Profilen keine Voraussetzung, denn ab Werk ist der Profiler bereits mit einer großen Anzahl an Amp-Profilen bestückt, und weitere aufwendig erstellte gibt es bei diversen Anbietern zu kaufen.
In den letzten Jahren hat sich Einiges in der Modeling Technology getan. Einer der zur Zeit leistungsfähigsten Prozessoren ist der Quad Cortex von Neural DSP.