TL; DR: hat Potenzial und den Sound, versagt aber in mehreren Punkten.
Long Story
Vorweg: ich habe es gerade zurückgeschickt, wegen drei "Dealbreaker"-Eigenschaften. Es tut etwas weh, denn es hat das Potenzial, als "Dark Horse" den grossen Konkurrenten Kemper, Fractal, Quad Cortex, Helix und Boss GT-1k den Kampf anzusagen. Und das zum Kampfpreis. Aber es war ja klar, dass es einen Haken geben muss.
Was ich wollte: kompakter Ersatz für mein Pedalboard und Amp (ca. 12-14 Pedale für Dirt, Mod, Delay, Reverb, Kompression und die "utilities" wie Tuner, Noise Gate und Switcher), für Rucksack-Gigs, Jam Sessions und zu Hause. Keine Kompromisse im Sound wollte ich machen, und es sollte mich zum Spielen animieren, nicht zum rumfummeln.
Mission failed successfully. Leider!
Was kann das Ampero II Stage gut?
Sound: einfach super. Wirklich gute Amps und Effekte. Ich bin sehr pingelig und das Ding hat Style und Eier.
Mit Tone Capture kann man schnell und einfach sehr gute Ergebnisse erzielen. IRs klingen wie sie sollen. Effekte teilweise etwas generisch von den Optionen her, aber klangtechnisch sehr gut. Genaue Replicas fehlen hier und da (z.B. Boss CE-1 oder Space Echo), aber die vorhandenen sind gut (z.B. Phase 90 und TC 2290).
Spielgefühl: sehr gut. Nicht spürbare Latenz, sehr responsiv und reagiert klasse auf Volumenpoti an der Gitarre.
Anschlüsse: super. Alles da und mit dem Mic Input kann man capturen und reinsingen, wenn gewünscht. Bluetooth funktioniert auf Anhieb. Ground Lift als physischer Schalter. Netzteil etwas spziell von den Specs, aber da würde sich etwas finden, wenn man es vom Pedalboard speisen will.
Menüführung/Bedienung: perfekt. Sehr einfach und logisch, toller Touchscreen, sehr gute App (wenn auch nur Portrait-Ausrichtung auf dem iPad), selbsterklärend bis auf ein paar Details, die man mit dem Manual rausfinden kann.
Physis/Interface: gute Taster und Regler, wie immer zu wenig, dafür ist das Ding sehr kompakt. Roadtauglich. Weiss ist Geschmackssache. Die Frage ist, ob der Screen sonnentauglich ist.
Was kann es nicht gut?
DSP Power: das ist das Hauptproblem. Selbst ohne IRs und Tone Catches (Captures) geht dem Ding viel zu schnell die Luft aus und die CPU-hungrigen Reverbs und andere Effekte sind dann einfach nicht mehr verfügbar. Leider ein Killerkriterium.
Ich wollte mein Pedalboard nachbauen. Wenn es daran scheitert, dass ich zwei Reverb Blocks und zwei Delay Blocks haben möchte, ist das nicht okay.
Hier kommen die bad news: es wird noch schlimmer, wenn man Tone Catch und IR verwenden will. Ich habe ein absolut überzeugend klingendes Capture von meinem Marshall SV20 und Suhr Reactive Load IR gemacht, die klangen auch zu 99.7% so wie in echt. Nach einem Versuch. Einfach genial.
Aber dann musste ich schon schwere Kompromisse bei den restlichen Effekten eingehen. Ist ein No Go für mich!
Die Anzahl der Blocks (also Amps/Tone Catches/Speaker/IRs/Effekte inkl. Noise Gate) ist schon recht limitiert, glaube zwölf sind möglich, aber das wäre noch i.O.- dass dem Ding nach 5-6 schon die Luft ausgeht, ist nicht i.O.!
Assignments/Szenen-Management/MIDI: MIDI ist mittelmässig gut implementiert, aber das brauchte ich nicht.
Assignments sind ganz gut gemacht, nicht so mächtig wie bei Boss und anderen, aber brauchbar.
Scenes: das ist der zweite Pferdefuss. Die Idee ist, dass innerhalb eines Patches 5 "scenes", also Zustände aller Parameter, gespeichert und wieder abgerufen werden können. Problem ist, dass es nicht den gespeicherten sondern den LETZTEN Zustand wieder abruft. Beispiel: Patch 1, Szene 1 mit Clean, Delay, Reverb auf Taster 1. Auf Taster 2 Szene 2 mit Drive und Delay. Auf anderen Tastern Direktzugriff auf bestimmte FX Blocks, also Taste 7: Chorus.
Ich bin in Szene 1, schalte den Chorus dazu und gehe zu Szene 2 für den Refrain. Dann zurück in Strophe und Szene 1 aufgerufen. Chorus ist leider immer noch aktiv, was NICHT der gespeicherten Szene entspricht.
Für mich ein Ausfall und killt meine Programmierungs-Strategie.
Support: leider nicht vorhanden. Keine Reaktion auf Mails, tote "Community", seltene Updates und allgemeines Feedback von langjährigen Hotone-Usern, dass sie sich nicht um die Kunden und ihre Produkte weiter kümmern. Business-Model scheint eher zu sein, die Geräte zu verkaufen und nicht weiter zu supporten. Das können Line6, Kemper, Fractal und andere viel besser.
Ergo: ein Gerät mit viel Potenzial, aber zu viel Problemen und ohne Zukunft. Ich bin sehr traurig darüber, aber musste die Konsequenz daraus ziehen.
Welche Alternativen kamen infrage?
Kemper Stage: top Amps, zu wenig Effektblocks und die Angst, tausende Profiles zu kaufen/testen, was mich vom Spielen abhält. Aber bin nach wie vor neugierig.
Quad Cortex: zu kleine Abstände zwischen Schaltern, auch einige Stimmen, dass sie lange versprechen etwas upzudaten und es dann ewig nicht hinbekommen.
Fractal: top Sound, zu viel Optionen. Deep dive Parameter ungeschlagen. FM3 ohne gapless switching.
Helix: top Sound, besonders seit dem Cab Update. Ich mag Line6, es wäre durchaus eine Option gewesen. Ganz schön gross. Support und Community sehr aktiv.
ToneX: top Amps, sehr wenige Effekte, grottige Software, obwohl ich nach dem Update vom Freitag noch nichts gehört habe. IK Multimedia ist kein Weltmeister im Kundensupport, ich habe sehr schlechte erfahrungen gemacht. Es juckt trotzdem, die Userberichte sind sehr gut, was den Realismus der Captures angeht. Evtl. für den Einschleifweg...
Boss GT-1000: das habe ich jetzt. Ist zwar Modeler, nicht Profiler, aber ich mag die Effekte und kenne den (zugegeben etwas spröden) Workflow vom ES-5 sehr gut. Amps sind gut, weil sie nicht versuchen, 1:1 Kopien zu sein (die meisten jedenfalls). IR Loader hat das Ding. Hardware top, Grösse gut, die Allzweckwaffe. Ich mag es jetzt schon, nach einem Tag.
Der Kampf geht weiter...leider ist das Ampero II Stage zu schwachbrüstig und hat die o.g. anderen Bugs. Danke Thomann für die unkomplizierte Abwicklung!